Was - Waere - Wenn
mehr zu beruhigen und sagt nichts anderes als: »Ach Kind, ach Kind!«
Mein Großvater stellt fest, daß er die Kamera gar nicht eingeschaltet hatte,
aber das macht nichts: Das hier wird sich für immer und ewig in mein Gedächtnis
brennen. Omi fummelt heimlich aus ihrem petrolfarbenen Täschchen einen
Flachmann hervor und nimmt verstohlen ein kleines Schlückchen von ihrer
Medizin. Als Kind dachte ich immer, sie hätte da Doppelherz drin, mittlerweile
weiß ich, daß es Doppelkorn ist. Ach ja, meine Familie!
Nach meinen Schwiegereltern, hundertachtzehn Tanten und Onkels und
dem Pfarrer kommt dann auch irgendwann Isabell, um mir zu gratulieren.
»Herzlichen Glückwunsch, Charlotta«, sagt sie, nimmt mich in den Arm, drückt
mich eine Spur zu fest an sich und haucht mir einen Kuß auf die Wange. »Du bist
wirklich zu beneiden!« Dann geht sie zu Moritz hinüber, der ein paar Meter
weiter weg steht. Ich sehe ihr einen Moment lang nach. Das glaube ich ihr aufs Wort! Keine Ahnung, wie meine Beziehung zu Isabell heute
ist und warum ausgerechnet sie als meine Trauzeugin fungiert, das werde ich
alles noch herausfinden müssen. Aber eins weiß ich genau: Eine Freundin ist sie
nicht, das würde sich anders anfühlen.
»Was ziehst du für ein Gesicht? Mädel, es ist dein Hochzeitstag,
also lächel gefälligst!« So fühlt sich das an. Julie steht neben mir und grinst
mich an. Sie trägt ein schlichtes, blaues Kleid, hat ihre schwarzen Haare wie
immer zu einem dicken Bauernzopf geflochten, der ihr bis zum Ellbogen reicht.
Äußerlich ist sie ganz die Alte. Innerlich hat sie mindestens einen
Quantensprung gemacht: Sie spricht mit mir!
»Julie!« Ich falle ihr um den Hals und knutsche sie erst einmal
ausgiebig ab, habe schließlich zwei Jahre Kontaktsperre nachzuholen.
»Holla!« Julie lacht und erwidert meine Umarmung. Dann grinst sie
mich noch breiter an. »Bißchen spät, wenn du mir jetzt gestehen willst, daß du
eigentlich immer nur mich geliebt hast. Das hättest du dir vor der Heirat
überlegen sollen.«
»Ich freu mich ja so, daß du da bist!« Ich kann nicht anders, ich
muß sie noch mal an mich drücken.
»Wieso?« fragt sie grinsend. »Hast du gehofft, den Champagner sparen
zu können?« Ich hatte gedacht, daß du nie wieder mit mir reden würdest und ich
dich als Freundin für immer und ewig verloren habe, weil ich so ein Riesenidiot
war. Das wäre die Antwort.
»Quatsch«, sage ich statt dessen.
»Das will ich meinen, daß ich mir diesen Tag nicht entgehen lasse.
Auch, wenn ich noch bis zu den Haarwurzeln in Umzugkartons stecke.« Sie seufzt
dramatisch. Richtig, sie ist ja gerade erst umgezogen, in ihrer Wohnung lebt ja
dieser … wie hieß der noch? Björn. »Hat dir denn mein Geschenk gefallen?« will
Julie dann wissen. Hätte ich auch nur die geringste Ahnung, was sie mir
geschenkt hat, könnte ich darauf sicher etwas antworten. Aber so bleibt mir
nichts anderes übrig, als sie fragend anzusehen. »Na?« Sie wartet gespannt.
»Äh«, stottere ich, »ich weiß jetzt ehrlich gesagt gar nicht so auf
Anhieb …«
»Also wirklich!« Sie mustert mich empört.
»Was denn?«
»Chi il bel sogno di Doretta!« ruft sie aus. »Ich kann nicht
glauben, daß du das vergessen hast!«
»Die Sopranistin kam von dir?« Julie nickt eifrig.
»Ja, sicher! Oder denkst du etwa, Moritz wäre auf die Idee
gekommen?« Sie sieht amüsiert aus. Ich falle Julie noch einmal um den Hals.
Wirkungsvolles Ablenkungsmanöver.
»Julie, das ist so lieb von dir! Tausend Dank, natürlich hab ich das
nicht vergessen, ich bin nur heute so durcheinander.« Und das ist ausnahmsweise
mal nicht gelogen. »Ich hab mich so gefreut, als ich auf einmal das Lied gehört
habe!«
»Ich wünsche dir«, flüstert Julie mir ins Ohr, »daß für dich alle
deine Träume in Erfüllung gehen.« Dann gibt sie mir einen dicken Schmatzer auf
die Wange.
»Das wünsche ich dir auch!«
»Dauert nicht mehr lange«, stellt Julie daraufhin fest. »Im
September bin ich ja dran.« Ich gucke einen Moment verständnislos, aber dann
ist es mir klar: Julie wird also auch heiraten! Doch hoffentlich nicht diesen … »David«, sagt Julie, ehe ich den Gedanken zu Ende denken kann, »wollte
eigentlich auch noch kommen und dir gratulieren.« Sie sieht sich suchend um.
»Er muß hier irgendwo rumlaufen.« David. Das kleine, miese Arschloch namens
David. Auf meiner Hochzeit, mit meiner wieder neu gewonnenen besten Freundin. Sofort brauen sich ein paar graue Wolken
über
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