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Was - Waere - Wenn

Was - Waere - Wenn

Titel: Was - Waere - Wenn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wiebke Lorenz
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daß ich bis ans Ende meiner Tage bei ihm bleibe! Mit Ach und Krach
habe ich bisher ein einziges Mal eine Beziehung hinbekommen, bei der es sich
gelohnt hat, die Telefonnummer des anderen in mein Handy einzuspeichern und
sich seinen Namen zu merken, da kann ich mich doch nicht allen Ernstes für
immer und ewig an Moritz Lichtenberg binden! Was ist denn, wenn ich ihn in
Wahrheit gar nicht leiden kann? Vielleicht bin ich ja auch total ungeeignet, um
mit jemandem zusammen zu leben, mit meinen fast dreißig Jahren habe ich
bestimmt schon mehr Single-Macken als Lenny Kravitz Haare auf dem Kopf.
    Ich muß komplett wahnsinnig sein. Was habe ich mir nur dabei
gedacht? Ich muß aufstehen, hinauslaufen, alles rückgängig machen! Ganz langsam
versuche ich, das rechte Knie aufzustellen, wenn ich mich schwungvoll abdrücke,
bin ich schneller weg, als der Pfarrer »Amen« sagen kann.
    »Ich liebe dich.« Es ist nur ein ganz leises Flüstern, mehr ein
Wispern, aber ich habe es genau gehört. Moritz schaut zu mir herüber und deutet
ein leichtes Nicken an. »Ich liebe dich«, flüstert er dann noch einmal.
    »Ja, ich will.« Mein Knie sackt zurück auf den Samt. Was soll’s?
Wenn ich schon in der Hölle schmoren werde dafür, daß ich meinem Schöpfer ins
Handwerk gepfuscht habe, will ich vorher wenigstens ein einziges Mal richtig
und aus vollem Herzen geliebt worden sein. Moritz lächelt mich an, als wollte
er sagen: »Eine gute Entscheidung!«. Als ihn der Pfarrer fragt, antwortet auch
er mit »ja«. Danach Ringe tauschen, Schleier hoch, Kuß, fertig. Meine Mutter
schluchzt laut, was aber sofort untergeht, weil auf einmal eine Sopranistin von
der Empore losschmettert: »Chi il bel sogno di Doretta« aus Puccinis »La Rondine«.
    Als hätte jemand bei mir einen Schalter umgelegt, fange auch ich an
zu heulen. Solange ich denken kann, habe ich mir das gewünscht. Daß auf meiner
Hochzeit genau dieses Lied gesungen wird. Und das Verrückte ist: Bis zu dieser
Sekunde hatte ich das vollkommen und komplett vergessen. Vermutlich, weil ich
eine Heirat für mich sowieso schon ausgeschlossen hatte. Aber jetzt höre ich
dieses Lied, und es ist alles wieder da. Seit meinem fünfzehnten Lebensjahr ist
»Zimmer mit Aussicht« einer meiner erklärten Lieblingsfilme. Stundenlang haben
meine beste Freundin Julie und ich als Teenager vor dem Video-Recorder meiner
Eltern gehockt und uns immer wieder die Szene angesehen, in der Helena Bonham
Carter durch ein Weizenfeld auf Julian Sands zustolpert. Sie fallen sich in die
Arme, er küßt sie leidenschaftlich, und dazu dieses Lied von Puccini, bei dem
einem fast das Herz stehenbleibt. Herrlich, Julie und ich waren zwei echte
Kitschtanten! Am Ende war das Videoband schon so ausgeleiert, daß die Hunde in
der Nachbarschaft zu jaulen anfingen, wenn wir es bei voller Lautstärke
abspielten.
    Genauso haben Julie und ich uns immer die Liebe vorgestellt. Und
damals haben wir uns den heiligen Schwur geleistet, daß wir uns nie, nie, nie
mit weniger als der wahren, der einzigen, der absoluten Liebe zufriedengeben
werden. Der Rest ist bekannt: Julie geriet an den notorischen Fremdgänger
David, und ich habe mir das Verlieben nach Moritz gleich ganz abgewöhnt.
    Möglich, daß es hiermit angefangen hat. Die Sache mit der Musik, die
alles verspricht und doch nichts hält. Aber jetzt singt die Sopranistin
ausgerechnet dieses Lied, und es kommt mir vor wie ein Versprechen, daß am Ende
doch noch alles gut wird. Gut, vielleicht interpretiere ich ja auch ein bißchen
viel in die ganze Sache hinein. Und ehrlich gesagt gehe ich davon aus, daß die
Sopranistin aus einem einzigen Grund auf der Empore steht und Puccini-Lieder
singt: Ich werde sie gegen ausreichende Bezahlung hingestellt haben. Trotzdem:
Ich nehme das als Zeichen. Punkt. Aus. Ende.
    Moritz und ich fassen uns bei den Händen und schreiten den
Mittelgang entlang. Vor uns streuen drei kleine Mädchen Rosenblätter, und als
die großen Flügeltüren der Kirche geöffnet werden, bricht ein heller
Sonnenstrahl durch bis zum Altar. Von allen Seiten jubelt uns das Volk zu, habe
ich da nicht eben ein »Vivat, Charlotta!« gehört? Genauso würde ich eine
Hochzeit inszenieren, wenn ich einen Blockbuster für Hollywood drehen müßte.
    Draußen zwitschern die Vögel, die nahe gelegene Bundesstraße rauscht
sanft im Hintergrund, aus der Ferne das melodische Hupen eines türkischen
Hochzeitskonvois. Wildfremde Menschen herzen und küssen mich, meine Mutter ist
gar nicht

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