Was - Waere - Wenn
wir sie über kurz oder lang wegen eines epileptischen
Anfalls entfernen müssen.
»Meine Damen und Herren!« Mein Vater ist aufgestanden und klopft an
sein Glas, augenblicklich verstummen sämtliche Gespräche. »Wir sind heute
zusammengekommen, weil wir etwas Besonderes zu feiern haben.« Seine Stimme
zittert, und er wischt sich nervös den Schweiß von der Stirn.
»Hoffentlich kommt jetzt nicht wieder eine seiner Endlosreden«,
flüstert Moritz mir ins Ohr. Ich ramme ihm meinen Ellenbogen in die Seite, so
daß er erschrocken Luft holt und sich eine Hand an die Rippen hält.
»Red nicht so über meinen Vater!« gifte ich ihn an.
»Sorry«, stößt Moritz atemlos hervor, »war doch nicht ernst
gemeint.«
»Heute, an diesem wunderschönen, sonnigen Tag heiratet mein kleines
Mädchen. Meine Charlotta.« Meine Mutter bricht sofort wieder in Tränen aus, und
auch ich spüre plötzlich einen Kloß im Hals. Komme mir vor wie in »Der Vater
der Braut«, und genaugenommen ist das da vorne ja auch mein Vater. Und ich bin
eine Braut. Moritz legt einen Arm um mich und streichelt mir sanft über die
Schulter, eine Geste, die mich mit seiner blöden Bemerkung versöhnt.
»Als ihr beiden euch in noch sehr jungen Jahren gefunden habt, da
dachten deine Mutter und ich, daß das eine Teenagerschwärmerei ist, die schnell
vorbeigeht.« Er räuspert sich. »So unterschiedlich wart ihr damals, kaum
vorstellbar, daß zwei wie ihr zueinander paßt. Nun, wir haben uns getäuscht:
Die Jahre vergingen, und ihr seid immer mehr zusammengewachsen. Und ab heute
wollt ihr nun also auch euren restlichen Lebensweg miteinander beschreiten.« Er
räuspert sich noch einmal, mein alter Herr scheint richtig nervös zu sein. Süß!
»Ich kann dir gar nicht sagen, Charlotta«, fährt er dann fort und kriegt
allmählich etwas regelrecht Sentimentales in seiner Stimme, »wie stolz deine
Mutter und ich auf dich sind und wie wir uns für dich freuen. Werde glücklich
mit deinem Moritz.« Noch ein dramatisches Päuschen. »Und ich wünsche euch von
ganzem Herzen, daß ihr euch so sehr liebt, wie deine Mutter und ich das immer
getan haben und noch tun.« Bei diesen Worten blickt er zärtlich zu seiner Frau
hinunter. »Ich erhebe mein Glas und trinke auf eure Zukunft!«
»Auf eure Zukunft!« rufen alle im Chor und stoßen miteinander an.
Omi mittlerweile ganz ungeniert mit ihrem Flachmann, sie hat ihren Pegel
offensichtlich erreicht. Ich muß vor lauter Rührung tatsächlich richtig heulen,
springe auf, laufe zu meinem Vater hinüber und nehme ihn ganz, ganz fest in den
Arm.
»Charly, meine Kleine«, sagt er, und es ist schön, daß er mich in
diesem Moment so nennt. »Ich hoffe so sehr, daß du mit ihm glücklich wirst, wir
freuen uns so für dich!« Dann umarme ich auch noch meine Mutter, und – wo ich
gerade dabei bin – auch noch alle übrigen Leute am Tisch. Wir sind stolz auf
dich. Immer wieder höre ich meinen Vater diesen Satz sagen. Und erst in diesem
Moment wird mir klar, daß meine Eltern das vorher noch nie zu mir gesagt haben.
Was möglicherweise daran liegen könnte, daß sie dazu bisher noch nie einen
Grund hatten. Charly, du bist hängengeblieben, wir sind
stolz auf dich! Charly, du hast das Studium nicht gepackt und uns das jahrelang
verheimlicht, wir sind wahnsinnig stolz auf dich! Charly, statt dessen schlägst
du dich mit einem Kellnerjob durchs Leben, was sind wir doch unheimlich stolz
auf dich! Charly, bei dir geben sich zwielichtige Typen die Klinke in die Hand,
wir sind ja so stolz darauf! Auch wenn mir noch immer etwas mulmig ist
und ich sicher noch einige Wochen brauchen werde, um mich an die neue Situation
zu gewöhnen – wie gut, daß ich zu New Life gegangen bin!
Als ich zu meinem Platz zurückkomme, steht da ein Teller mit einer
grünlichen Masse. Moritz schmatzt dagegen bereits an seinem leckeren Lammcarrée
mit Salzkruste herum.
»Warum kriege ich was anderes als du?«
»Weil du doch das vegetarische Gericht bestellt hattest.« Habe ich
mir denn eigentlich alles abgewöhnt, was Spaß macht? Kein Wunder, daß ich so
dünn bin, von was sollte ich auch zunehmen? Von Selleriestangen,
Radieschen-Salat und Evian? Ich setze mich hin und stochere lustlos im Grünzeug
herum, sieht unappetitlich gesund aus.
»Sag mal, Schatz«, ich schiebe den Teller von mir weg und beuge mich
zu Moritz, »wann haben wir eigentlich das letzte Mal Sex gehabt?« Sex, Sex, Sex – das Wort wirbelt laut durch die Luft, prallt an den ungläubigen
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