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Was weiß der Richter von der Liebe

Was weiß der Richter von der Liebe

Titel: Was weiß der Richter von der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Ungerer
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sich als Schlichter zwischen den Knackis bereits unverzichtbar gemacht.

EINE FORTBILDUNG ZUVIEL
    Was eine Massage ist, das weiß ja die zu Massierende oft am wenigsten. Viele Jahre hat sie auf dem Erdenrund verbracht, ist ihren Pflichten als Lehrerin, Erzieherin oder Hotelfachfrau stets nachgekommen, und die Pflichten haben ihr den Rücken ein wenig schief gemacht, oder es ist mal eine Bandscheibe ihrer eigenen Wege gegangen. Vielleicht ist man aber auch Friseurin, frisiert gerade und hat noch lange nichts Böses geahnt, als der graumelierte, freundliche Herr unter den eigenen Fingern eine spontane Diagnose beginnt: Also, der Rücken, den man habe, da stimme etwas nicht, den würde er sich gerne mal näher ansehen. Physiotherapeut sei er. So nette Leute gibt’s!
    Was eine Massage wirklich ist, wissen trotzdem die wenigsten. Sie findet auf einer Behandlungsliege statt, man drückt das eigene Gesicht abwärts in einen gepolsterten Rahmen und kann sehen, ob die Putzfrau seriös ist. Alles weitere, vor allem den eigenen Körper, dessen Istzustand und seine Erhebung legt man dann – oder »frau«, für dieses Mal sollte man wirklich einmal »frau« sagen dürfen, na gut, aber man traut sich ja nicht – das alles also legt man dann in die Hände des Experten. Die Hände werden schon machen, dass der Körper gesund wird.
    Und es sind nicht nur Hände hier am Geschehen beteiligt. Der nette, graumelierte Mann, verheiratet, zwei Kinder, iranischer Herkunft, er weiß durchaus alle Sinne zu behelligen: Während er also den Körper, der einem gehört und der jetzt oberhalb der eigenenWahrnehmung irgendwo flachliegt (bäuchlings, die Handflächen seltsamerweise nach oben gekehrt), während der nette Herr nun also sachte gegen die totalen Verspannungen vorgeht, die sich irgendwo im Nackenbereich finden, sorgt er zeitgleich auch fürs Sprachzentrum im Gehirn: Von Fortbildungsmaßnahmen weiß er viel zu berichten, welche er alle schon gemacht habe, überhaupt, so kann man den Eindruck gewinnen, wird auf Fortbildung viel Wert gelegt in dieser seiner Praxis. Denn niemand sonst ist ja da, keinerlei Personal, alle ausgeflogen, und wenn es nicht die Fortbildung ist, die zur völligen Menschenleere hier geführt hat, dann ist es zweifellos das Berufsethos des Mannes: Extra für den Rücken der Friseurin, 33, hat sich ein Samstagstermin finden lassen; eigens für die Studienrätin, 46, finden sich Termine am Abend, und ein ganz kleines bisschen merkwürdig findet sie diese Geschäftszeiten schon, jedoch: Vieles lässt sich ja schlecht einschätzen, wenn man sich nicht auskennt im Metier.
    Und so liegt man also vorsichtshalber erst mal weiterhin da auf der Liege, beim ersten Termin ist alles auch halbwegs normal verlaufen, vor allem aber der Rücken fühlte sich besser, und so ist man doch geneigt, sich geistig auszuklinken aus allem Geschehen und Beurteilenwollen, die sanfte Informationsflut einfach mal hinzunehmen: dass man ja noch sehr verkrampft sei und sich locker machen solle; dass Vertrauen die Grundlage der Behandlung sei, es viele Patienten gebe, die sich ihm anvertrauten; ob sie ihm nicht auch etwas anvertrauen wolle; wie er die Zellulitis des berühmten Models Nadja A. in den Griff bekommen habe; dass er selber ja auch einen sehr schönen Hintern habe; und wie manso den Fußboden mustert, ist man beinahe froh, einen bekannten Faden aufgreifen zu können: Eine junge Patientin, von der er berichtet, ist im selben Sportverein wie die eigene Tochter! Ja, sehr weit entwickelt sei die ja schon, auch körperlich.
    Und wie man da also liegt und der Schulterbereich alles sehr genießt, was die eine Hand des Monologmanns so knetend bewirkt, so muss man doch schlucken: dass die andere Hand durchaus ganz andere Wege geht. Aber so ganz sicher kann man sich ja nie sein, ob man jetzt gerade vielleicht etwas überempfindlich ist, und wo Therapie ihre Grenzen hat. Der Schlüpfer ist ihr schon zum Opfer gefallen, den mochten die knetenden Hände nicht haben; und mit einem BH den Rücken zu queren, das ging natürlich schon gar nicht, und so wurde er umstandslos von den helfenden Händen entfernt.
    So liegt man also da und stellt sich Fragen: Ist das alles vielleicht ganz normal, gehört es einfach dazu? Wurde einem dieser Physiotherapeut nicht vom Orthopäden wärmstens empfohlen? Und, apropos wärmstens: Was hat er mir denn da jetzt in die offene Hand gelegt – kann das? Kann doch wohl nicht! Es muss ein Zufall gewesen sein. So rattert es

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