Was will man mehr (German Edition)
Er hat zuerst einen Tobsuchtsanfall bekommen und dann eine Herzattacke. Wir haben die Feiertage deshalb größtenteils im Krankenhaus verbracht.»
«Oh. Das tut mir sehr leid», erwidere ich.
Tom winkt ab. «Es geht ihm schon wieder besser. Die Ärzte meinen, er könnte problemlos hundert werden. Das wären noch fast zwanzig Jahre. Deshalb bin ich sehr froh, dass ich es ihm gesagt habe. Ich möchte keine zwanzig Jahre so weitermachen. Nicht mal fünf. Außerdem könnte ich mir das auch gar nicht leisten.»
«Du wirst eine Reise unternehmen», konstatiert Janet unvermittelt.
«Ja. Das hab ich doch eben erzählt», erwidere ich.
«Aber es liegt auch in deinen Karten», rechtfertigt sich Janet. Sie zeigt auf den Tresen. «Hier. Das Schiff steht für eine Reise.»
«Und liegen da auch Sachen, die ich noch nicht weiß?»
«Glaubst du an die Macht der Karten?», wirft Tom ein.
Ich zucke mit den Schultern.
«Solltest du», fährt Tom fort. «Janet hat mir auch schon die Karten gelegt, und es stimmte fast alles.»
«Na, wenn das so ist», erwidere ich. «Dann lass mal hören.»
«Also», beginnt Janet. «Zunächst einmal liegt hier ein Sarg.»
«Das klingt doch schon mal sehr beruhigend», stelle ich fest.
«Keine Sorge», erwidert Janet. «Der Sarg steht für Transformation und Neuanfang. Das kann in der Liebe sein oder im Beruf. Oder dein ganzes Leben ändert sich. Du musst jedenfalls Mut haben, dich dem Transformationsprozess zu stellen.»
«Eigentlich habe ich langsam die Nase voll von dauernden Transformationsprozessen. Kann ich nicht einfach mal irgendwo ankommen? Muss ich denn ständig von vorne anfangen?»
«Vielleicht», erwidert Janet. «Ich sehe hier auch einen Berg. Der steht für schwierige berufliche Aufgaben. Und es gibt einen Fuchs. Das ist ein Nebenbuhler, der dich in Gefahr bringen wird. Vielleicht auch ein Nebenbuhler in Liebesdingen, das kann ich nicht so genau sagen. Du musst jedenfalls einen Kampf mit ihm ausfechten. Und der Ausgang ist ungewiss.»
«Aber ich soll trotzdem kämpfen?»
«Auf jeden Fall. Der Kampf hat ganz entscheidend mit deinem Transformationsprozess zu tun.»
«Aha», sage ich. Keine Ahnung, worauf Janet anspielen könnte.
«In der Liebe versuchst du etwas zu erzwingen, das sich nicht erzwingen lässt», fährt sie fort.
«Ach komm, Janet!», grätsche ich dazwischen. «Das weißt du längst. Ich hab euch beiden eben lang und breit von mir und Audrey erzählt. Deswegen mache ich ja die Reise.»
«Es ist aber doch trotzdem interessant, dass ich das alles in den Karten sehe, oder?», erwidert Janet ungerührt.
Tom nickt zustimmend. «Da hat sie recht. Das ist erstaunlich!»
Seltsame Logik, finde ich. Aber egal.
«Wie geht die Sache denn aus?», will ich wissen. «Bekomme ich am Schluss die Traumfrau, den Traumjob und das Schloss samt Schatzkammer?»
«Keine Ahnung», erwidert Janet. «Das wird sehr stark davon abhängen, ob du diesmal deinen Gefühlen traust oder nur deinem Verstand.»
Tom sieht mich an und nickt anerkennend.
«So revolutionär ist das jetzt auch nicht», sage ich in Toms Richtung.
«Für dich schon», erwidert Janet, die gar nicht von den Karten hochgesehen hat. «Nach dem, was hier liegt, bist du ein reiner Kopfmensch.»
Das Telefon klingelt.
«Wenn ich dir einen Flug spendiere, kannst du dann schon morgen kommen?», fragt Schamski.
«Was ist los?», erwidere ich launig. «Hört sich an, als ginge es um Leben und Tod.»
«Das nicht. Aber vielleicht geht es um ein paar Jahre Knast.»
«Für wen? Für dich?», frage ich erstaunt.
«Ja. Vielleicht.»
«Klar kann ich morgen kommen. Ich muss nur erst mit Melissa reden.»
«Das mach ich schon. Du hast morgen bestimmt noch ein paar Dinge zu erledigen. Ruf mich danach an. Am besten am späten Nachmittag. Ich sag dir dann, wo wir uns treffen.»
Bevor ich etwas erwidern kann, hat Schamski aufgelegt. Nachdenklich lasse ich den Hörer sinken. Janet beobachtet mich dabei.
«Schlechte Nachrichten?», fragt sie.
«Keine Ahnung», erwidere ich. «Vielleicht beginnt ja jetzt mein Transformationsprozess.»
«Das ist gut möglich», erwidert Janet.
«Dann wünsche ich dir viel Glück dafür», sagt Tom.
«Genau. Und ich bau dir noch ’ne Sigille», fügt Janet hinzu.
«Danke», sage ich. Was auch immer eine Sigille sein mag.
Als ich vierundzwanzig Stunden später von einem mürrischen Taxifahrer durch jene Stadt chauffiert werde, die viele Jahre meine Heimat war, spüre ich eine eigenartige
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