Was will man mehr (German Edition)
Was soll ich jetzt tun? Mich wortreich bei Audrey entschuldigen? Ihr versichern, dass ich mich selbstverständlich ganz nach ihren Wünschen richten werde? Das wäre klug, aber es würde mir auch gegen den Strich gehen. Andererseits kann ich nicht einfach die Vorspeisen auftragen und so tun, als sei dies ein ganz normales Abendessen.
Derweil ich überlege, stelle ich einen Teller nach dem anderen an seinen Platz, bis ich an meinem eigenen angelangt bin. Ich zögere, den Teller auf den Tisch zu stellen. Dann fasse ich spontan einen Entschluss.
«Ihr solltet die Vorspeise einfach mal probieren», sage ich. «Ich esse in der Küche, ich muss mich sowieso noch um den Hauptgang kümmern. Tut mir leid, wenn ich was Falsches gesagt habe, Audrey. Ich wollte uns allen bestimmt nicht die Weihnachtsstimmung verderben. Aber vielleicht ist es ja noch nicht zu spät für einen netten Abend. Guten Appetit, erst mal.»
Während ich meine Vorspeise zurück in die Küche trage, registriere ich, dass das Schluchzen aufgehört hat. Ob meine Worte auf Audrey versöhnlich gewirkt haben oder ob sie fassungslos verstummt ist, weil ich wieder nicht den richtigen Ton oder wahlweise das richtige Thema getroffen habe, wage ich jedoch nicht zu beurteilen.
Als ich gerade höchst zufrieden die zartrosafarbene Entenbrust mit einem eiskalten Chablis vernascht habe, öffnet sich die Küchentür. Es ist Audrey.
«Ich finde es nicht richtig, dass du hier mutterseelenallein sitzt. Die anderen übrigens auch nicht. Wir möchten deshalb, dass du mit uns isst.»
«Sehr gern», erwidere ich.
Es ist eine glatte Lüge, denn ich würde viel lieber in der Küche bleiben. Ich bräuchte mich an keinen Gesprächen zu beteiligen, wäre in der Nähe der Weinvorräte und könnte mir obendrein die narkotisierende Weihnachtsmusik ersparen. Andererseits will ich auf keinen Fall einem harmonischen Abend im Weg stehen.
«Kann ich dir was helfen?», fragt Audrey.
«Im Moment nicht», entgegne ich und öffne den Ofen. «Ich muss zuerst die Ente vorbereiten.»
«Fein», sagt Audrey. «Und beim Essen reden wir dann in Ruhe über alles.»
Die Tür fällt ins Schloss.
Ich stehe immer noch gebeugt am offenen Backofen und brauche einem Moment, um zu verstehen, was Audrey da zuletzt gesagt hat. Das heißt, eigentlich kann von Verstehen keine Rede sein. Möchte Audrey etwa, dass wir unsere Probleme in großer Runde diskutieren? Findet vielleicht nach unserem Disput eine Abstimmung statt? Und klärt damit das Familiengericht, wer von uns beiden im Recht ist?
Während ich die Enten tranchiere, sage ich mir, dass ich Audreys Bemerkung einfach falsch interpretiert habe. Sie wollte wohl nur ihrer Vorfreude auf anregende Gespräche Ausdruck verleihen und hat sicher nicht gemeint, dass wir beim Hauptgang unsere persönlichen Probleme vor der versammelten Familie ausbreiten werden.
Doch genau das hat sie gemeint, stelle ich wenig später fest. Als ich mit dem Entenbraten ins Wohnzimmer komme, sehe ich in ernste Gesichter und ernte einige reservierte Blicke. Ich gehe davon aus, dass Audrey meine Bemerkung über ihre weibliche Verwandtschaft brühwarm weitergegeben hat, weshalb die anwesenden Damen nicht gut auf mich zu sprechen sind. Die dazugehörigen Männer werden sich ihren Frauen wahrscheinlich anschließen. Timothy orientiert sich als Opportunist ohnehin an Iris, alternativ an Elisabeth oder aber an der Mehrheit. In diesem Fall muss er also nicht lange überlegen. Vielleicht ist immerhin Schamski auf meiner Seite. Ich würde es ihm aber auch nicht verübeln, wenn er zu Melissa hielte. Die beiden wollen heute sicher noch Sex haben, da stört ein Streit ja nur. Immerhin habe ich das Glück, Konstantin heute nicht ertragen zu müssen. Iris’ und Audreys Vater ist mit seinem Jüngsten, dem kleinen Alphons, in Kanada. Heftige Schneefälle sorgen dafür, dass die beiden dort auch noch eine Weile bleiben werden. Konstantin redet grundsätzlich seiner Mutter nach dem Mund und lässt auch sonst nichts unversucht, um Elisabeths Gunst zu erringen. Damit geht er mir noch mehr auf die Nerven als die Hintergrundmusik.
Während ich das Geflügel unter die Leute bringe, stelle ich mir vor, wie die nächsten ein, zwei Stunden verlaufen werden. Ich würde die ganze Sache gerne abkürzen. Ich koste zuvor nur rasch ein Stück Ente. Sie ist gut, vielleicht sogar perfekt. Dann nehme ich einen Schluck Wein. Auch damit bin ich zufrieden.
«Gut. Worüber wollen wir reden?», frage
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