Was will man mehr (German Edition)
«Du brauchst auch ein schönes Glas Rotwein.»
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Sag mal, hat der sie noch alle?
Ich befürchte, mich in der Adresse geirrt zu haben. Das Haus ist ein aufwendig sanierter Altbau, mitten in der City. Die meisten Klingeln sind unbeschriftet, was auf prominente Bewohner schließen lässt. Der Pförtner versichert mir, dass ich mich im richtigen Haus befinde. Ich werde zum Fahrstuhl geleitet, der mich in die oberste Etage bringt.
Als die Türen sich öffnen, traue ich meinen Augen nicht. In einem geräumigen Treppenhaus mit Marmorboden erwartet mich Bronko. Allerdings erinnert kaum etwas an jenen Bronko, den ich zuletzt vor sechs oder sieben Monaten gesehen habe. Das war, bevor er auf Einladung eines Kunstliebhabers in die Schweiz zog, um dort ein Jahr ungestört zu malen.
«Was ist mit dir passiert?», frage ich völlig verdutzt.
«Was meinst du?», fragt er. «Ach, meine Augen? Oder was?»
«Zum Beispiel», erwidere ich.
Bronko schielt nicht mehr. Dabei schielte er so schlimm, dass es anstrengend war, ihm längere Zeit dabei zuzusehen. Nun trägt er eine schlichte schwarze Brille, hat einen minimalen Silberblick und schaut mir geradewegs ins Gesicht. Früher musste ich mich immer auf sein linkes Auge konzentrieren, um festzustellen, ob er mich ansah. Ich habe es deshalb sein Zielauge getauft. Mit der Zeit konnte ich einschätzen, wen oder was Bronko gerade ins Visier nahm. Bei unserer ersten Begegnung war ich nicht einmal sicher, ob er mich meinte, als er ein Gespräch eröffnete. Es sah nämlich so aus, als hätte er Leute, die mehrere Meter von uns entfernt standen, angesehen. Jetzt wohnt er im nobelsten Viertel der Stadt und könnte ein entfernter Verwandter von Christopher Lambert sein. Respekt.
«Lange Geschichte», erwidert Bronko und schließt mich zur Begrüßung in die Arme. «Komm rein, dann erzähl ich dir alles.»
Wir betreten den geräumigen Eingangsbereich eines imposanten Lofts. Ich glaube zu erkennen, dass sich hinter der Fensterfront ein Balkon über die gesamte Breite der Wohnung erstreckt. Der Raum ist mehr ein Saal. Fünf, vielleicht sogar sechs Meter hoch und lichtdurchflutet. Ein entweder sehr sauber aufgeräumter oder selten genutzter Küchenbereich mit einer langen Tafel dominiert eine Seite des Zimmers. Auf der anderen ist ein Kamin mit einer Sitzecke in puristischem Weiß zu sehen. Wenige großformatige Bilder schmücken die Wände.
«Sind die von dir?», frage ich und vermute, dass Bronko nun doch noch der internationale Durchbruch als Künstler gelungen ist.
Bronko schüttelt den Kopf. «Die gehören dem Besitzer. Er ist viel auf Reisen und vermietet die Wohnung dann möbliert.»
«Ich will ja nicht indiskret sein …», beginne ich, unterbreche mich aber sofort selbst. «Doch, eigentlich schon. Eigentlich möchte ich alle schmutzigen Details deiner Geschichte hören.»
Bronko lächelt. «Dieses Loft gehört dem Schweizer Augenarzt, der mich operiert hat. Er ist wiederum ein Freund des Galeristen, der mich eingeladen hat. Der Galerist ist mit einem Diplomaten befreundet, und mit dessen Frau habe ich eine Affäre. Deshalb die Operation, das Loft, die Klamotten, die Reisen und überhaupt alles.»
«Du bist ’n Toyboy», stelle ich amüsiert fest. «Ein Jüngling, der mit einer reichen, älteren Dame schläft und dafür von ihr ausgehalten wird.»
«Man geht schon lange nicht mehr als Jüngling durch, wenn man um die vierzig ist», antwortet Bronko. «Außerdem ist Michelle nur ein paar Jahre älter als ich und nebenbei sehr attraktiv. Ich würde also auch mit ihr schlafen, wenn sie kein Geld hätte. Was aber definitiv stimmt, ist, dass ich von ihr ausgehalten werde.»
«Das ist unmoralisch und zutiefst verwerflich», sage ich.
«Ganz meine Meinung», erwidert Bronko. «Aber als Künstler werde ich es bestimmt nicht mehr zu einem solchen Luxusleben bringen. Also danke ich dem Schicksal auf Knien und denke nicht weiter drüber nach.»
«Hast du keine Angst, dass ihr Mann euch auf die Schliche kommt? Er könnte dich in eine Bananenrepublik verschleppen lassen. Diplomaten haben da bestimmt gewisse Möglichkeiten.»
«Überhaupt nicht», erwidert Bronko und macht sich daran, Espresso zu kochen. «Ich bin Teil eines Arrangements. Die beiden sind eigentlich getrennt. Sie leben nur deshalb noch zusammen, weil Michelle durch ihren Mann interessante Leute kennenlernt und er durch sie finanziell abgesichert ist. Sie kommt aus einer sehr vermögenden Familie.
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