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Was will man mehr (German Edition)

Was will man mehr (German Edition)

Titel: Was will man mehr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Rath
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auf die britische Metropole. Normalerweise. An schönen Tagen soll man bis Windsor Castle sehen können. An Tagen wie heute, wo London so tief im Nebel steckt, dass Jack the Ripper seine helle Freude gehabt hätte, sieht man nicht einmal Big Ben. Dabei steht der Glockenturm gleich gegenüber, auf der anderen Seite der Themse.
    Das behauptet zumindest Iris. Während wir in einer gläsernen Gondel stehen, die in Zeitlupe in die Höhe klettert, erklärt Iris fachkundig, was ich gerade sehen könnte, wenn der dichte Nebel nicht davor wäre. Normalerweise stünden wir jetzt hier mit zwei Dutzend anderen Touristen. Mangels auch nur annähernd passabler Wetterverhältnisse haben wir die Gondel jedoch für uns allein.
    Iris zeigt in den Nebel. «Etwa da müsste der Tower of London sein und gleich daneben die Tower Bridge.»
    «Schön», sage ich und meine damit sowohl die unsichtbaren Sehenswürdigkeiten als auch ihr Profil.
    Sie spürt offenbar, dass ich sie beobachte, denn sie hält plötzlich inne und schweigt. Dann dreht sie den Kopf zu mir. «Was?»
    «Glaubst du auch, dass man das Glück schmieden muss?», frage ich.
    Sie nippt an ihrem Bier, überlegt einen kurzen Moment.
    «Nein», sagt sie dann. «Und das weiß ich aus Erfahrung, denn ich habe es versucht. Wenn man das Glück ständig verbiegt, dann zerbricht es einem irgendwann.»
    Sie schaut wieder nach vorn. Wir schweigen. Plötzlich reißt der Nebel auf, und für einen kurzen Moment kann man einen Blick auf das Lichtermeer unter uns erhaschen.
    «Und du?», fragt sie, ohne mich anzusehen. «Was glaubst du, wie es sich mit dem Glück verhält?»
    «Ich glaube nicht mal, dass es sich beim Glück um ein Material handelt. Es scheint mir eher ein Wesen zu sein. Vielleicht ein Fabeltier oder so was Ähnliches. Manchmal kann man im Dickicht seine Augen leuchten sehen. Manchmal hat man das Gefühl, dass es einen beobachtet. Es folgt einem auch ab und zu. Und dann wieder nicht. Keiner weiß, warum.»
    «Und kann man es nicht einfangen?», fragt Iris.
    «Nein. Alle bemühen sich darum, obwohl das völlig sinnlos ist.»
    «Das ist aber nur deine Meinung, oder?»
    Ich nicke. «Ich bin der festen Überzeugung, dass man nicht mehr tun kann, als sich für das Glück bereitzuhalten. Man muss ihm zeigen, dass man zur Verfügung steht. Alles andere ergibt sich. Oder eben auch nicht.»
    Ich stehe schräg hinter Iris und sehe nur anhand eines kaum merklichen Zuckens ihres Ohres, dass sie lächelt.
    Im nächsten Moment dreht sie sich zu mir, und in einer fließenden Bewegung, die so schnell passiert, dass ich völlig überrumpelt bin, zieht Iris meinen Kopf zu sich heran und küsst mich leidenschaftlich. Eigentlich müsste ich nun zurückschrecken und sie fragen, was sie da gerade macht. Tatsächlich verschwende ich keine Sekunde an einen derartigen Gedanken. Ich erwidere ihren Kuss und ziehe sie sanft an mich.
    Nach einer Weile nimmt sie den Kopf ein kleines Stück zurück und schaut mir tief in die Augen. «Ich würde jetzt gerne mit dir schlafen.»
    Dieser Blick und diese Worte verschlagen mir für einen Moment den Atem. «Jetzt sofort?», will ich wissen. «Hier?»
    «Nein», erwidert sie ruhig. «Ich will keinen Quickie, ich will mit dir schlafen. Und ich fände es schön, wenn wir dazu ganz klassisch ein Bett benutzen würden.»
    «Ich habe ein Bett!», sage ich eifrig. Erst in der nächsten Sekunde fällt mir auf, wie idiotisch diese Bemerkung ist.
    Iris lächelt nachsichtig. «Dann sollten wir versuchen, da irgendwie hinzukommen.»
    Ein Taxi bringt uns zur Pension von Mrs Poppins. Die Dame ist hinterm Tresen eingenickt. Wir huschen an ihr vorbei, erklimmen leise die knarrenden Treppenstufen in die obere Etage, beeilen uns, in mein Zimmer zu kommen, und lassen uns auf die dicken Daunendecken fallen. Als ich Iris’ Haut auf meiner Haut spüre und ihre Lippen im Dunkeln die meinen suchen, erblicke ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung am Fenster. Mir scheint, als hätte ich das Antlitz eines seltsamen Fabelwesens im dichten Nebel aufblitzen sehen.
    Als ich erwache, ist der Nebel verschwunden. Goldenes Sonnenlicht flutet den Raum und taucht ihn in ein strahlendes Gelb. Noch schlaftrunken, schaue ich an die Decke und taste mit einer Hand nach Iris. Wenn das heute Nacht kein schöner Traum war, dann müsste sie jetzt neben mir liegen. Das Bett ist leer. Irritiert richte ich mich auf. Ich kann sehen, wo sie gelegen hat, und ich kann noch ihre Wärme spüren. Ich denke nach. Zu

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