Was will man mehr (German Edition)
diesem Tresen sitzt, besteht ihre einzige Bewegung darin, sich zum Schlüsselschrank umzudrehen. Eine Tüte gewürzter Schweineschwarten lässt außerdem darauf schließen, dass Mrs Poppins sich ein bisschen einseitig ernährt. Wahrscheinlich bin ausgerechnet ich derjenige, der die heimlich verstorbene Pensionsinhaberin heute Nacht von ihrem Hocker stupst. Dieses Risiko möchte ich vermeiden.
«Noch was», sagt sie, als ich bereits im Begriff bin, die ersten Treppenstufen zu nehmen. «Leiser Damenbesuch ist erlaubt. Lauter Damenbesuch nicht. Und Herrenbesuch ist überhaupt nicht erlaubt. Ihre Sauereien, die können Sie ger-ne in Soho veranstalten, aber nicht unter meinem Dach.»
Um mir lange Diskussionen zu ersparen, nicke ich nur.
Das Zimmer ist geräumig. Der Teppich und die alten Möbel wirken angestaubt. Immerhin macht das Bettzeug einen frischen und sauberen Eindruck. Durch das Fenster fällt diesiges Licht. Man hat den Impuls, die Gardinen zur Seite zu schieben, doch sie sind bereits zur Gänze geöffnet. London liegt im Nebel, und heller wird es heute wohl nicht.
Ich treffe mich mit Iris in einem indischen Restaurant. Sie hat es ausgesucht, weil es preiswert und gut sein soll. Als wir Platz nehmen, werde ich für einen Moment an unser erstes und einziges Rendezvous erinnert.
Vielleicht hat sie eine ähnliche Assoziation, denn als sie sich gesetzt hat, lächelt sie ihr betörendes Lächeln und sagt: «Ich hoffe, deine Geheimniskrämerei war nicht nur ein Vorwand, um mich zu diesem Abendessen zu überreden.»
Sie flirtet ein bisschen. Das macht sie gern, und ich würde ihr aufreizendes Lächeln auch erwidern, wenn wir nicht noch ein sehr unangenehmes Gespräch vor uns hätten.
Iris sieht gut aus. Ein bisschen müde vielleicht, aber das macht sie locker mit dem Strahlen ihrer Augen wett. Sie hat ebenso wie ich keine besondere Garderobe gewählt. An ihrem Schmuck und einem dezenten Make-up erkenne ich aber, dass sie sich dennoch für den Anlass ein bisschen schick gemacht hat. Freut mich irgendwie.
«Guten Abend, die Herrschaften», begrüßt uns ein wieseliger älterer Mann mit dunkler Haut und weißen Haaren. «Ich heiße Balu. Mir gehört das Bombay Balu Restaurant. Wenn Sie irgendeinen Wunsch haben, bitte sagen Sie es mir.» Er faltet die Hände und deutet eine Verbeugung an.
Wir nehmen Wasser und Weißwein. Dann wenden wir uns der Speisekarte zu. Da ich mich gerade nicht auf das Essen konzentrieren kann, nehme ich irgendeinen Salat und dann irgendetwas mit Huhn.
Iris bemerkt meine Nervosität. «Alles in Ordnung?»
«Ja. Es wäre mir nur lieber, wenn dieses Essen unter anderen Voraussetzungen stattfinden würde.»
Sie nickt bedächtig. «Willst du nicht einfach mal damit rausrücken, was dir auf der Seele brennt? Ist es wegen Timothy?»
«Wie kommst du denn darauf?», frage ich erstaunt.
«Weil ich dir vor langer Zeit erzählt habe, dass er mich betrogen hat. Vielleicht willst du mir jetzt sagen, dass er schon wieder untreu ist.»
Ich wundere mich darüber, dass Iris diese Möglichkeit nicht nur gelassen, sondern fast lässig in Betracht zieht. «Offenbar würde dir das nicht allzu viel ausmachen», stelle ich überrascht fest.
«Doch», erwidert Iris. «Ich habe es mir nur schon so oft ausgemalt, dass mir der Gedanke vertraut vorkommt. Einerseits habe ich Angst, dass es wieder passieren könnte. Andererseits kalkuliere ich es irgendwie ein, damit es mich nicht so unvorbereitet trifft wie beim ersten Mal.»
Ich nippe an meinem Weißwein. Seltsame Theorie. Dennoch wäre es mir lieber, wenn wir hier wegen einer Affäre von Timothy säßen. Das, was ich ihr zu sagen habe, wird sie nicht nur unvorbereitet treffen, sondern vermutlich aus der Bahn werfen. Das macht es mir noch schwerer, mit der Sprache rauszurücken.
Da ist plötzlich ein leichtes Flackern in ihren Augen. Ein Anflug von Angst. «Es geht tatsächlich um Timothy, nicht wahr?», vermutet sie leise.
Ich nicke langsam. «Er hat eine große Summe vom Verlag veruntreut.»
Iris wird blass. Fassungslos sieht sie mich an, als würde sie zu ergründen versuchen, ob ich vielleicht nur einen sehr geschmacklosen Witz gemacht habe.
«Ich weiß, das klingt seltsam aus dem Munde desjenigen, den bislang alle für den Niedergang des Verlags verantwortlich gemacht haben.»
«Genau das habe ich gerade auch gedacht», erwidert Iris, und in ihrer Stimme schwingt ein Hauch von Skepsis mit.
«Hier noch alles in Ordnung? Alles zu Ihrer
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