Was will man mehr (German Edition)
jetzt auf einem Privatkonto in Uruguay. Ihr habt nicht zufällig Urlaubspläne, die damit konvenieren, oder?»
Iris wirkt verzweifelt. «Nein. Aber …»
Ich warte und lese in ihrem Gesicht, dass sie gerade fieberhaft die Konsequenzen zu überblicken versucht.
«Vielleicht … will er ja … allein nach Uruguay», denkt sie laut.
«Entweder das», erwidere ich. «Oder er parkt das Geld in Südamerika, bis Gras über die Sache gewachsen ist.»
«Du meinst, er bestiehlt die Familie und schaut dann auch noch seelenruhig zu, wie alle mit der finanziellen Katastrophe klarzukommen versuchen? Oder schlimmer noch, er heuchelt, dass er alles tut, um uns zu helfen, obwohl er die Misere selbst verursacht hat?»
Ich zucke mit den Schultern. Keine Ahnung, welche Sauereien Timothy zuzutrauen sind. Wahrscheinlich ’ne Menge. Mir persönlich hat er sogar die Frau geklaut. Das ist natürlich Quatsch, denn Iris hätte sich ja auch gegen ihn und für mich entscheiden können. Andererseits hat er auch ihr nie sein wahres Gesicht gezeigt. So richtig objektiv hat sie also nicht entscheiden können.
«Das würde bedeuten, dass ich den größten Dreckskerl aller Zeiten geheiratet habe», resümiert Iris bitter.
«Da möchte ich dir jetzt nicht widersprechen», sage ich.
Iris betrachtet ratlos den Wust von Zetteln auf dem Tisch. Offenbar kann sie das Ausmaß der Katastrophe noch nicht fassen.
«Kein Zweifel?», fragt sie leise nach einem kurzen Schweigen.
Ich schüttele den Kopf. «Ich hab die Sache von einem guten Anwalt prüfen lassen. Alle Puzzlestücke passen perfekt zusammen. Timothy hat in jeder Hinsicht vorgesorgt. Wenn der Verlag zwischenzeitlich in die Insolvenz gerutscht wäre, dann hätte Schamski den Kopf hinhalten müssen.»
«Wieso das?», fragt Iris.
«Timothy hat ihn zum alleinigen Geschäftsführer gemacht. Ich vermute, das war eine Vorsichtsmaßnahme.»
Iris schaut erneut auf die Papiere. Dann dreht sie den Kopf zum Nebentisch, wo unser lauwarmes Essen steht.
«Ich hab keinen Hunger mehr», sagt sie.
Das ist gut nachvollziehbar. «Tut mir wirklich leid. Ich … Soll ich dich vielleicht nach Hause bringen?»
Sie schüttelt den Kopf. «Nein. Ich will jetzt nicht nach Hause. Außerdem habe ich Großmutter überreden können, auf Mary-Ann aufzupassen. Das möchte ich wenigstens ein bisschen ausnutzen.»
«Gut. Dann sag doch einfach, wonach dir jetzt ist. Und das machen wir dann.»
Sie überlegt einen Moment, dann hellt sich ihr Gesicht auf. «Ich könnte jetzt ein oder zwei Bier vertragen.»
«Okay. Bin dabei», sage ich, schiebe die Papiere zusammen und winke nach Balu.
Der Inhaber des Bombay Balu Restaurant ist entsetzt darüber, dass wir seine hervorragenden Speisen nicht einmal angerührt haben. Ich sage ihm, dass sich das keineswegs gegen die Qualität seiner Küche richtet, sondern mit einem verzwickten persönlichen Problem zu tun hat.
Genau deshalb möchte Balu, dass wir sein Lokal verlassen, ohne auch nur einen einzigen Penny für das Essen zu bezahlen. «In meinem Dorf in Indien, da nimmt man Leute mit verzwickten Problemen sehr gastfreundlich auf. Und wenn sie wieder gehen, dann sagt man ihnen: Du brauchst mir nicht zu danken, und du brauchst mir auch kein Geld zu geben. Aber nimm dein Unglück wieder mit.» Balu faltet die Hände und deutet eine Verbeugung an. «Genau darum möchte ich Sie beide höflich bitten. Sie brauchen mir nichts zu zahlen, aber nehmen Sie Ihr Unglück bitte wieder mit.»
In meiner momentanen finanziellen Situation kommen mir manche indischen Bräuche sehr gelegen.
Wenig später flanieren Iris und ich mit ein paar Dosen Bier an der Themse entlang. Ob wir unser Unglück dabeihaben, wage zumindest ich zu bezweifeln, weil ich im Moment alles andere als unglücklich bin.
Wieder hat Iris offenbar eine ähnliche Assoziation, denn plötzlich sagt sie: «‹Jeder ist seines Glückes Schmied.› Wusstest du, dass das Großmutters Wahlspruch ist?»
«Nein», erwidere ich. «Passt aber zu ihr. Klingt irgendwie preußisch.»
«Sie sagt, was ihr an dem Spruch gefällt, ist die Vorstellung, dass man sein Glück nur mit brutaler Gewalt in die gewünschte Form bringen kann.»
Interessanter Gedanke. Ich überlege, während Iris einen großen Schluck Bier nimmt und dabei in den Himmel schaut.
«Kennst du eigentlich das Auge von London?», fragt sie.
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Ich habe ein Bett!
Das London Eye ist ein Riesenrad. Man hat von dort aus einen phantastischen Blick
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