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Was wir Liebe nennen

Was wir Liebe nennen

Titel: Was wir Liebe nennen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Lendle
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in die Höhe fuhr, in den Schwindel hinein. Auf wie vielen Vulkanen gleichzeitig konnte man tanzen? Mit einer Handbewegung forderte Fe ihn auf, das Telefon wegzustecken. Er folgte ihr. War es egoistisch, was er tat? Und war es egoistisch, wenn er beim Abwägen auch im Hinterkopf hatte, dass die Lebenserwartung nach einer Trennung erheblich sank?
    Sie gingen über den stillen Teppich, den Flur entlang, der viel enger schien als beim letzten Mal. Die Wände grob verputzt, in einem dreckigen Rot, als liefen sie durch ein langes, leeres Blutgefäß.
    Sie blieben stehen, und Fe nahm ihm den goldenen Schlüssel aus der Hand. Als sie aufschloss, sah Lambert die ans Türholz geschraubte Zimmernummer aus einzelnen Messingziffern, bauchig wie Russischbrot. Die Nummer 505. Fe stieß die Tür auf, und winkte ihn herein. Lambert erinnerte sich an einen Satz, den Andrea vor unendlich vielen Jahren gesagt hatte, oben auf einem Baugerüst: Es war nicht der Apfel selbst, es war die Geste, mit der er ihn überreicht bekam.
    Dann waren sie in der kleinen Diele, am Garderoben s piegel vorbei und endlich im Schlafzimmer. Lambert drehte sich um zu ihr. Wie hätten sie sich nicht berühren sollen? An der Wand ein halbrunder Schreibtisch, ein Stadtplan, leeres Briefpapier, auf dem Bett eine Tagesdecke mit Fischmotiven, über die halb zugezogenen Vorhänge lief ein Muster aus grünen Kränzen, darunter stand eine Stehlampe, die erst zu brennen aufhörte, als Lambert endlich die Augen schloss.
    Ihre Küsse, als hätten sie nichts anderes gelernt. Als hätten sie es auf nichts anderes angelegt. Wenn Lambert die Augen öffnete, war er verwundert, wie fröhlich Fe aussah. Wie ein glücklicher Clown. Nicht einmal den Mund hätte sie sich größer schminken müssen. Ihre breiten Wangen, das Strahlen, sie lachte mit geschlossenen Augen.
    Wenn man es in den Filmen sah, gab es diesen Moment, in dem sie sich aufs Bett fallen ließen. Lambert hatte sich immer gefragt, wie das gelang und wer den Anstoß dazu gab. Als er nun selbst aufschlug, als der Schwung ihres Fallens sie für einen Moment in die weiche Matratze sinken ließ, hinein in den Fischschwarm der Tagesdecke, ärgerte er sich, nicht achtgegeben zu haben, wie es dazu gekommen war.
    Sie hätten es die ganze Zeit über im Boot schon haben können, aber sie nahmen es sich erst jetzt. Weil es nun war wie im Film? Weil sein Vater nicht mehr zusah? Wegen der geschenkten Nacht? Sie lebten in einem Niemandsland aus Zeit.
    Lambert selbst war einfach erleichtert, sich nicht mehr aufrecht halten zu müssen. Wie ein Bergsteiger bei Erreichen des Gipfels: nur noch froh, nicht weiterklettern zu müssen. Es genügte ja alles, es war alles längst da, ihre seltsamen nordamerikanischen Augenbrauen, die Ohrringe, das nordamerikanische Glänzen ihrer Wangen. Ihre kleinen Leberflecke bildeten ein Sternbild, das Lambert nicht kannte. Es gab ihre nordamerikanischen Fingernägel, die ihm über das Gesicht fuhren, und die nordamerikanischen Härchen auf der Oberseite ihrer Finger, das Kinn, ihren Hals, ihre nordamerikanische Haut, überall ihre nordamerikanische Haut.
    Lambert stellte sich vor, nebenan in der 504 zu sitzen und sich zuzuhören. Es war nicht leicht, und bald begann sich alles in Schleifen zu drehen, aus denen es kein Entkommen gab, selbst wenn man ihnen hätte entkommen wollen.
    Später lagen sie nebeneinander und schauten an die Decke. Lambert fragte, was sie sich, wenn sie einen Wunsch frei hätte, wünschen würde. Fe sagte ohne zu zögern, sie würde sich Zeit mit ihm wünschen. Ewig. Oder zumindest ein paar Jahre.
    Â»Ich fürchte, das wird nicht möglich sein.«
    Â»Feigling.«
    Im Einschlafen, als er sich schon wieder fragte, ob es das alles wirklich gegeben hatte, fand er Gewissheit nur in der Erinnerung, wie genau ihre kleinen Brüste in seine Hände gepasst hatten. Und er s pürte auf dem Mund noch die Härchen auf dem Rand ihrer Oberlippe beim Küssen.
    Mit dem letzten Rest Wachheit drehte er sich zu Fe hinüber und murmelte: »Sind wir ein Paar?«
    Â»Ich schon.«

25
    Beim Aufwachen war er allein. Solange er noch nicht wusste, wo er sich befand, war das nicht weiter schlimm, aber als es ihm dämmerte und er hinüberlangte auf die andere Seite des Bettes, wo nichts war als ein Berg aus Decken und Kissen, fühlte er sich auf einmal einsam wie ein

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