Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht
Problem. Es tut uns leid, aber die Party ist vorbei, wir bitten
Sie |86| höflich, sich wieder in Ihre Stadt zu verpissen, wünschen Ihnen eine gesegnete Nacht und hoffen, Sie kommen nie wieder!»,
kommentiere ich.
Sonja lacht. «Ist das nicht wie im Märchen? Mein lieber Maaaaan.» Wir klatschen uns ab und fühlen uns wie die Eroberer einer
Galaxie.
Als wir auf das freie Feld treten, wähnen wir uns im Paradies: unberührtes Land, so weit das Auge reicht. Kniehoch das Wildgras,
verstreut darauf uralte knorrige Lärchen. Wilde Brombeerbüsche, Wildrosengestrüpp, verwilderte Apfel-, Birn- und Kirschbäume.
In weiter Ferne, winzig, ein Kirchturm. Der Himmel ist jetzt mit feingepinselten Federwölkchen verziert, die vor dem Azurblau
der Unendlichkeit in leuchtendem Gelb-Orange brennen. Die Weite der offenen Szenerie hat etwas Majestätisches. Etwas Reiches,
Sattes und unendlich Friedliches.
«Sonja, wenn wir einmal solches Land bewirtschaften könnten, hier, hinter der Hecke, Sonja, dann … wow!», entfährt es mir.
«Wir werden nicht solches Land bewirtschaften, Dieter», sagt sie ernst, «nicht
solches
, sondern dieses, genau dieses Land hier!»
Sie schaut über die Flächen. Ihre großen blauen Augen funkeln. «Wirst schon sehen», sagt sie, und dann lächelt sie mich an.
«Der Dachs hat es mir eingeflüstert. Es wird so sein!»
«Abgemacht», sage ich.
Vielleicht sind wir einfach mit den Nerven runter, vielleicht ist alles zu viel gewesen in den letzten 36 Stunden, vielleicht hat uns der Techno-Lärm die Birne weich gekocht – ich weiß es nicht. Kann auch sein, dass das Land uns
verzaubert hat oder wir Gott gesehen haben in Gestalt eines Dachses. Jedenfalls sind wir glücklich in diesem Moment. Einfach,
restlos, vorbehaltlos und rein: glücklich. Wir folgen Hand in Hand dem Wiesenweg, der uns in zwei gedehnten, weiten Bögen
in das offene Land hineinführt.
|87| Und dann liegt sie vor uns. Die Startbahn. Mächtig, mindestens 50 Meter breit, sich perspektivisch am Horizont auf einen Kirchturm zu verengend. Das Bild ist von solcher Absurdität, dass es
uns den Atem verschlägt. Mitten in dieser Weite aus unberührter, wild lebendiger Natur dieses gigantische, betonplattengekachelte
Band. Die weißen, unterbrochenen Streifen der Mittellinie wie ein sinnentleertes Morse-Gedicht sich in der Ferne verlierend.
Statuen gleich, Frau und Mann, links und rechts von uns jeweils ein Hund, stehen wir aufgereiht am Ende oder Anfang dieses
ausrangierten Symbols des Kalten Krieges. Hier sind sie also losgeflogen, die hochentwickelten Wunderwerke des Krieges, Tod
und Verderben mit sich führend. Wie viel Aufwand, wie viel Geld, wie viel Wissen und Können, wie viel Wollen und Müssen wurde
hier investiert! Für das Ende der Welt. Für das Nichts. Verschwendet. Verlassen und verwaist jetzt. Die Natur bricht sich
ihren Weg, holt sich zurück, was ihr entrissen wurde, frisst sich die Ränder entlang mit Flechten, Moos und Gras in die Piste
hinein, sprengt die Betonplatten, die den Tod getragen haben, mit der unbesiegbaren Macht beharrlichen Lebens.
«Schwerter zu Pflugscharen», sagt Sonja leise.
«Das gibt so unglaublich viel Zuversicht», antworte ich. «Weil es aussieht, als sei die Natur unzerstörbar.»
«Ist sie auch. Wir ruinieren zwar unseren Lebensraum, wenn wir so weitermachen, dann haben wir’s eben vergeigt. Aber die Natur,
die gibt es auch nach uns noch, die braucht keine Menschheit.»
«Stimmt, Mama Natur ist ja die Jahrmillionen vor dem Homo sapiens auch ganz gut klargekommen.»
«Ich hab jetzt gar keine Lust mehr, Homo sapiens im Techno-Look zu begutachten», wechselt Sonja wieder ins Hier und Jetzt.
«Selbst wenn, Sonja, ich hab die Party doch gerade abmoderiert. Da gibt es nichts mehr zu sehen.»
|88| Auf dem Rückweg nehmen wir die Abkürzung über unsere Koppel. Und sind im Wilden Westen: Die Pferde traben mit wehenden Mähnen
vor dem brennenden Himmel, die Esel ziehen ihr gewohntes Abendprogramm ab, bestehend aus wilden Galoppjagden und spielerischen
Show-Kampfeinlagen. Sie sind angekommen in ihrem neuen Zuhause. Und hinter dieser Szene unbändiger Lebensfreude versinkt die
Sonne als riesiger dunkelroter Feuerball am durch nichts verstellten Horizont. Vergiss Hollywood, in Sachen pathetischer Kitsch
schlägt das echte Leben jede Technicolor-Großleinwand.
|89| Federvieh
Filmriss. Die Enten! Die hätte ich fast vergessen, die müssen in den
Weitere Kostenlose Bücher