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Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Titel: Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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Als wir fertig sind, zieht Sonja den Abflussstöpsel und fragt:
    «Was nun?»
    «Was meinst du damit? Was tun wir
jetzt
, oder meinst du: Wie tun wir generell weiter?»
    «Generell.» Sie lehnt sich gegen die Spüle und verschränkt die Arme.
    «Also», sage ich und setze mich auf das Designer-Glas-Ceranfeld neben ihr, «generell weiß ich im Moment nicht. Wir siedeln |78| uns gerade in einer Streudose an, in der nicht genug wächst, kriegen auch keine zusätzlichen Sandflächen zu kaufen, wohnen
     an einer Straße, die den Verkehr zwischen halb Brandenburg und Berlin wird schlucken müssen, über uns startende und landende
     Flugzeuge und am Wochenende Techno-Party oder die Festivitäten des sogenannten Gemeindehauses. Und, damit es nicht langweilig
     wird, die nächtlichen Hubschrauberflüge des Bundesgrenzschutzes. Also   …»
    «Also?», fragt Sonja, um sich gleich selber zu antworten: «…   hab ich es verbockt! Zurück auf Los. Oder nicht?»
    «Zurück? Wie, wohin, mit welchem Geld?»
    Sie zuckt mit den Schultern. Ich bin genauso ratlos, starre auf meine nackten Füße, die über dem blutrot-weiß gekachelten
     Küchenboden baumeln.
    «Wie war das mit den kleinen Schritten und dem Fremden? Was hast du da gestern gleich nochmal erzählt?», fragt sie, als versuche
     sie, sich an ein längst vergangenes Märchen zu erinnern.
    «Du meinst das mit dem Fremden und dass wir es uns in kleinen Schritten zu eigen machen werden? Na ja, eigentlich gilt das
     doch immer noch.» Ich hebe den Kopf und sehe sie an. «Was ist denn passiert? Gut, dieser Lärm nervt jetzt wirklich. Aber sonst?
     Müsebeck hat uns ein paar Dinge erzählt, das ist alles.»
    «Ja, Dinge, die uns enttäuschen. Wir sind enttäuscht.»
    «Zugegeben.»
    «Also?» Sie lässt nicht locker.
    «Na, ist ja nicht das erste Mal, dass wir enttäuscht werden. Und im Rückblick hat es doch immer auch was gebracht.»
    «Du erinnerst dich, wie wir dann immer sagten: Ent-Täuschung ist das Ende der Täuschung, nicht wahr?»
    «Ja. Und wer keiner Täuschung mehr aufsitzt, gewinnt klare Sicht auf die Dinge.»
    |79| «Richtig. Und was hat uns in der Schweiz am meisten zu schaffen gemacht?»
    «Ich ahne, worauf du hinauswillst, mein Sonja-Tierchen! In der Schweiz machte uns am meisten zu schaffen, dass alle Angst
     haben, die anderen zu enttäuschen, und dass daher niemand zum ‹Ende der Täuschung› kommt und alles im Nebel der Täuschungen
     bleibt, in dem sich dann erst recht ganz trefflich täuschen lässt.»
    «Genau darauf will ich hinaus, mein lieber Maaaaaan. Du wolltest nach Berlin, weil, wie du sagtest, die Preußen so wunderbar
     klar seien. Nun, Müsebeck ist Preuße, und er hat uns ganz klaren, reinen Wein eingeschenkt.»
    «Du meinst, also ist klar, dass wir hierbleiben werden und die Dinge   … ja, was denn? Wenn es ganz klar scheiße ist hier, müssten wir doch die Beine in die Hand nehmen und rennen?»
    «Das wäre eine Möglichkeit», gibt Sonja zu. «Die funktioniert aber in unserem echten Leben ganz klar nicht. Wie, wohin, mit
     welchem Geld, deine sehr richtigen Worte. Also?»
    «Also?» Ich bin wirklich gespannt auf die Lösung des Rätsels.
    «Also werden wir die Rolle der enttäuschten Opfer, die wegrennen,
nicht
spielen, sondern uns in Täter mit klarem Ziel verwandeln, die sich hier festbeißen und nie mehr loslassen.» Ihr Ton ist sehr
     entschlossen, fast feierlich. Mit einer blitzschnellen Bewegung dreht sie den Einschaltknopf der Herdplatte voll auf und ruft:
     «Wir müssen den Arsch hochkriegen!»
    Unter dem meinigen beginnt das Ceranfeld bedrohlich zu brummen.
    «He!» Ich springe runter und baue mich vor ihr auf. «Was konkret tun wir, jetzt, wo der Arsch hoch ist? Zum Beispiel mit dem
     hier?» Ich mache ein paar persiflierende Bewegungen im Rhythmus des Techno-Roboters.
    «Wir reden mit dem Mann, dem die Wiese gehört.» Sie dreht den |80| Knopf wieder auf null. «Er wohnt schließlich auch hier, den nervt der Lärm doch genauso wie dich und mich! Wir finden mit
     ihm eine andere Möglichkeit, mit seiner Fläche ein wenig Geld dazuzuverdienen. Vielleicht organisieren wir ein Freiluft-Klassikfestival,
     was weiß ich.»
    «Oder das ‹Internationale Pantomimen-Treffen›, das wäre ziemlich still», werfe ich ein. «Und der Fluglärm?»
    «Den hören wir uns erst mal an. Wenn das nur ein paar kleine Sportfliegerchen sind   … Vielleicht wirst du ja zum Mitlärmer und beginnst selber wieder mit der Fliegerei. Du wärst einer

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