Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht
runtergelassener Hose … Hastig richtete ich meine Kleider, da hörte ich sie schon: «Hallooooo, bin wieder dahaaa!» Ich trat auf den Flur, Sonja
war dabei, ihre Einkäufe Richtung Küche zu schleppen. «Hilfst du mir reintragen, mein Schatz?»
«Aber … äh … klar doch.»
Wir waren bestimmt schon drei- oder viermal mit Einkaufstüten bepackt am Baumstrunk vorbeigelatscht, als Sonja plötzlich stehen
blieb, durch die nicht mehr vorhandene Tanne blickte und sagte: «Schau, ist das nicht ein schönes Land, dahinten?»
«Jetzt fällt es mir auch auf – jetzt, wo man es endlich sieht.» Sonja blickte mich verständnislos an. Ich deutete auf den
Tannenstrunk.
|145| «Ditaaaaaaaaaaaa!!!!» Ein gellender Schrei. «Du hast … und ich hab’s nicht mal bemerkt. Dieter, ich schwöre dir, es ist mir nicht aufgefallen, dass die Tanne …» Sie lachte. «Das ist ja der Hammer, das hätte ich mir nie gedacht!» Sie stellte sich auf den Strunk, breitete leicht die
Arme aus und drehte sich langsam 360 Grad um die eigene Achse. Dann sagte sie: «Ist besser, ohne die Tanne, du hattest recht.» Warum habe ich mich mental nicht
einfach auf diese Variante vorbereitet?
Jedenfalls, nach der Tannengeschichte durfte ich auch die morsche Mauer, die hinter dem Stall den Blick verstellte, abräumen.
Die diversen anderen Tännchen, die Herr Milhoff schön in Reih und Glied rund um die Hofstelle gepflanzt hatte, habe ich –
nein, nicht gekillt, sondern – ausgegraben und verschenkt. Sollen sich in 20 Jahren auch ein paar Geschlechtsgenossen gut fühlen beim Fällen. Von dieser Stelle, Männer, herzlichen Gruß in die Zukunft!
|146| Blöd
Ich gebe zu, ich war verwöhnt. In der Schweiz konnte man selbst in den entlegensten Provinzfilialen der Großverteiler gutes
Essen einkaufen. Saisonal, regional, Bio. Und das in einem breiten Angebot. Nach der ersten Erfahrung bei Frau Widdel unternahm
ich natürlich weitere Einkaufsentdeckungsfahrten in die Supermärkte der Umgebung. Es war nicht lustig. Beim Grillhähnchen
suchte ich vergeblich die Information, auf welchem Hof das Tier aufgezogen worden war und vor allem wie. Ich fand lediglich
einen kleingedruckten Text, in dem ein gewisser Dr. X mit seiner gedruckten Unterschrift dafür garantierte, dass der Genuss dieses Hähnchens keinerlei Gesundheitsrisiken berge.
Ich verzichtete darauf, die Probe aufs Exempel zu machen.
In einem anderen Supermarkt erkundigte ich mich bei der Fachfrau hinter der Fleischtheke, woher denn das Rindfleisch käme.
Sie schaute mich fassungslos an und erklärte mir dann in einem Ton, der vielleicht an einen Vierjährigen richtig adressiert
gewesen wäre: «Ja also, wissen Se, da wird ein kleines Kalb gemästet, und denn wird dat groß, und denn kommt es zum Schlachter,
und der macht dann |147| Fleisch daraus, und denn kriegen wir dat und bieten dat denn an.» Als ich ihr überflüssigerweise auseinandersetzte, dass mich
interessiert hätte,
wer
der Bauer und
wer
der Schlachter gewesen sei und
wie
das Rind denn so gelebt habe, in Massenhaltung oder artgerecht, und
wie
es gefüttert worden sei, Turbofutter oder naturnah, da griff sie mit schreckgeweiteten Augen entschlossen zum Telefonhörer.
Wen sie anrief und was sie mitzuteilen hatte, weiß ich leider nicht, ich hatte den Supermarkt bereits verlassen.
Auch was Gemüse betraf, sah es ähnlich trübe aus. Der Ursprung der Lebensmittel und auf welche Weise sie hergestellt worden
waren, das interessierte hier offensichtlich keinen Menschen. Mir wurde zweierlei klar: Wenn wir unsere Ansprüche nicht radikal
herabschraubten, würden wir verhungern. Und, zweitens, es musste schnell gehen mit dem Bauernhof. Fleisch von eigenen Tieren,
Gemüse aus eigenem Anbau, ich freute mich jetzt schon darauf! Und wer immer Interesse an gutem Essen hatte, würde uns unsere
Produkte aus der Hand reißen.
Damit kein falscher Eindruck entsteht: Das war damals, als wir frisch in Amerika waren, meine allerersten Einkaufserfahrungen.
Natürlich entdeckten wir später einzelne kleine Geschäfte, in denen gute Qualität zu haben ist. Und Sonja ist heute Teil eines
dichten Netzwerkes von anderen Biobauern und naturnah arbeitenden Kollegen. Sprich, wir sind weder verhungert, noch mussten
wir auf die Qualität natürlich hergestellten Essens verzichten.
Doch tauchen wir zurück in die Erinnerung an jene kulinarisch deprimierende Anfangszeit. Im elfeinhalb Kilometer
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