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Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Titel: Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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Schwester Alma atmete schwer. «Du musst mir zur
     Hand gehen. Mach einfach nur, was ich dir sage, stell keine Fragen und vor allem, mach dir nicht ins Hemd.»
    «Aber   …»
    «Einfach nur Schnauze halten und machen, was ich dir sage!»
    «Aber ich kann so was nicht!», jammerte die Nachbarin.
    «Was heißt hier: Ich kann nicht? Du musst! Ich hab ja auch können, bei dir!»
    Wieder eine Welle, Schwester Alma fluchte hemmungslos. «Stell dich hinter mich, zieh mich hoch, ja, so, mehr, höher, jaaaaa,
     das ist gut, gut so, fester, fester, ja, ja, ja, jaaaaaaaa! Na, es geht doch, sag ich’s doch. Du bleibst, hörst du? Es ist
     gleich so-wei-iiiiiiiiiiihhhh. DU BLEIBST!»
    Natürlich blieb die Nachbarin bei Schwester Alma.
    Das kleine Mädchen, von der erschöpften Mutter selbst fachgerecht abgenabelt und mit der ihr eigenen Hand-Po-Behandlung zum
     Schreien und Atmen gebracht, war ein glatter Volltreffer. Von Schwester Alma wurde sie Helena getauft und wuchs zu einem |184| selbstbewussten Wildfang heran. Sie hatte die grünen Augen, die Sommersprossen und die feuerrote Haarmähne von ihrer Mutter
     geerbt. Bei der Körpergröße haben sich wohl die Gene ihres Vaters durchgesetzt, schon mit einsetzender Pubertät war Helena
     mit Schwester Alma auf Augenhöhe, und wenige Jahre später überragte sie sie fast um einen Kopf. Helena machte ihrem Namen
     alle Ehre. Es war leicht möglich, dass Zeus selbst sie gezeugt haben könnte, so wie sie aussah. Wer ihr irdischer Vater war,
     hat Helena nie erfahren. «Ein Irrtum, vergiss ihn», das war alles, was sich Schwester Alma entlocken ließ.
    Helena nahm es hin und vermisste ihn nicht, hatte sie doch in ihrer Mutter den schlagenden Beweis, dass es sich auch ohne
     Gatten und Erzeuger sehr gut leben ließ. So wurde Helena zu einer großen, stolzen und aufrechten Frau. Von niemandem und von
     nichts ließ sie sich einschränken oder einschüchtern. Weder von den Amerikanern – da hat sie natürlich vom Status ihrer Mutter
     profitiert – noch von irgendwelchen Klugschwätzern der Partei oder, nach der Wende, aus dem Westen. Helena ist das Paradeexemplar
     der souveränen, selbstbewussten «Ostfrau». Duckt sich nicht, fürchtet sich nicht und macht keine Kompromisse, wenn sie etwas
     für richtig hält.
    Daher wunderte es niemanden wirklich, dass Helena zur Chefin der Freiwilligen Feuerwehr Amerikas aufstieg. Am Anfang machte
     das die Mannen an den Schläuchen zwar etwas muffig, aber sie hat auf der ganzen Linie gewonnen. Ist niemandem hinten reingekrochen,
     hat sich nicht angebiedert, sondern ihr Ding einfach durchgezogen. «Es heißt ja ‹freiwillige› Feuerwehr», meinte sie nur.
     «Wer mit mir als Chefin nicht kann, der muss ja nicht.»
    Sie hat die Männer bei ihrem Stolz gepackt, hat sie mit Fachwissen, Zuverlässigkeit und ihrem blendenden Organisationstalent
     überzeugt. In puncto Respektsperson ist sie zu 100   Prozent in die |185| Fußstapfen ihrer Mutter getreten. Die Jungs lassen auf ihre Helena inzwischen nichts mehr kommen und würden für sie durchs
     Feuer gehen – wenn sie damit nicht ihren Zorn auf sich zögen, weil sie Feuer ja löschen sollen, statt durchzugehen.
    Und vielleicht träumt der eine oder andere nachts, wenn er allein zwischen den Laken liegt, ganz heimlich und ohne dass er
     es jemals zugeben würde, von Helenas wallendem Rotschopf, ihren langen Beinen und ihren von den Göttern gestalteten Formen.
     Ach   … es ist nicht immer leicht, Gefolgsmann einer Halbgöttin zu sein.

|186| Brauchen und haben
    An jenem Abend der vielen Geschichten und des üppigen Gelages nach der ersten Heuernte kam das Gespräch, wen wundert es, auch
     auf gutes und schlechtes Essen. Es wurde heftig debattiert über Vor- und Nachteile von Fertiggerichten, über den wirklichen
     oder, wie ein Moderatorenkollege felsenfest glaubte, eingebildeten Gesundheitskoeffizienten von Biogemüse. Man sprach über
     Genuss und Freuden des Selberkochens und darüber, wie viel Arbeit es halt leider mache.
    «Weit überschätzt, das mit der vielen Arbeit. Ich habe doch auch den ganzen Tag Heu gemacht und euch Hungerbäuchen jetzt dennoch
     ein Essen auf den Tisch gestellt, oder?», warf Sonja ein. «Den Wildschweinbraten habe ich heute Vormittag in die Röhre geschoben,
     der hat in niedriger Temperatur bis jetzt vor sich hin geschmort, die Kartoffeln habe ich gestern während des Essens gekocht,
     die musste ich nur noch mit ein wenig Zwiebel anbraten, der Salat geht

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