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Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Titel: Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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auch ruck, zuck, Essig, Öl, Gewürze, ein paar Kräuter,
     fertig. Und der Käse, das Brot und der Rest mussten ja nur ausgepackt werden. Wo ist das Problem?» Das leuchtete ein, und
     man |187| kam zu dem Schluss, dass nicht das Selberkochen das Problem sei, sondern das zeitraubende Einkaufen. Wann kommt man dazu,
     wo kriegt man was, und wie soll man planen.
    Teddy hatte die ganze Zeit nur still zugehört und sich an seiner Bierflasche festgehalten. Doch jetzt meldete er sich zurück:
     «Ihr habt vielleicht Probleme, ihr Wessis. Wat heißt hier keine Zeit zum Einkaufen? Wir haben doch früher stundenlang Schlange
     gestanden, wenn’s was Gutes zu kaufen gab. Sind von hier nach da gelaufen, um an ein Stück Speck zu kommen. Oder haben selber
     ein Ferkel großgezogen oder ’n paar Schafe gehalten. Das kostet Zeit, Freunde, das zu organisieren. Det Einkaufen heutzutage,
     det is doch Pillepalle.»
    «Wie war denn das mit dem Einkaufen früher in der DDR?», wollte jemand wissen. Tedy fixierte die Fragerin. «Det war ganz einfach,
     junge Frau.» Die nicht mehr ganz junge Frau lächelte ihn erwartungsvoll an. «Wir wussten nämlich, unser Konsum hat ein eisernes
     Prinzip, und wenn de dich dadran halten tust, denn haste keine Probleme.» Natürlich wollten wir jetzt alle erfahren, wie dieses
     einfache Prinzip lautete. «Det hat unser damaliger Bürgermeister, der Herr Widdel, höchstpersönlich fein säuberlich auf den
     oberen Querbalken der Zarge gepinselt. Mit schwarzer Ölfarbe und Buchstabenschablonen. Im Auftrag seiner Gattin. Ist noch
     ’n Bier da?»
    «Das hat er da hingemalt? Ist noch ’n Bier da?», fragte der Hochhausarchitekt.
    «Nee», lachte Teddy, «ich frage, ob noch ’n Bierchen da ist. Mit euch Typen tu ich mir ja den Mund ganz fusselig reden, det
     macht Durst.»
    Als Teddy sein Bierchen hatte und uns den Sinnspruch von Widdels Laden vorsagte, glaubten wir an einen Scherz. Es war zu absurd.
     Die schweizerischen Werbesprüche der Lebensmittelläden haben das Ziel, Erwartungen zu wecken und alles zu versprechen. «Wir |188| haben alles unter einem Dach!», «Wir haben, was Sie wollen!», «Was wir nicht haben, gibt es nicht!» oder «Wenn wir’s nicht
     haben, hat es keiner!» und ähnlich. Der Kunde ist König, und es wird beschafft, was die Majestäten zu haben wünschen. Zumindest
     wird es versprochen. Frau Widdels Türspruch klatscht all diese Verheißungen souverän an die Wand. Er ist genial, einfach und
     zugleich realistisch. Er sorgt mit seiner klaren Botschaft sowohl auf Kunden- wie auf Verkäuferseite für eine allzeit problemlose
     Koexistenz.
    Am folgenden Abend, Frau Widdel hatte schon geschlossen, aber es war noch hell, schlich ich mich zum Laden. Ich musste einfach
     Gewissheit haben, musste mit eigenen Augen bestätigt sehen, was uns Teddy verraten hatte. Ich sah mich um. Niemand unterwegs,
     ich war unbeobachtet. Lautlos, panthergleich, bewegte ich mich auf die vereinsamte Terrasse. Tatsächlich. Da, über der Tür,
     waren sie noch zu erahnen, die schwarzen Lettern. Adrenalin schoss mir in die Adern, ich fühlte mich wie ein Archäologe, der
     gerade eine antike Papyrusrolle ausgegraben hat, mit der er das Geheimnis des Fluches der Pharaonen lüften wird. Die Schriftfarbe
     war größtenteils abgeblättert, aber dort, wo sie jahrelang geklebt hatte, war das Holz um einen Hauch weniger wettergegerbt
     als der Rest des Balkens. Und weil mir der Spruch ja bereits geläufig war, gelang es mir auch, die Schrift – mit Mühe zwar,
     aber eben doch zweifelsfrei – zu entziffern. Teddy hatte nicht gescherzt. Hier stand:
    WAS WIR NICHT HABEN, BRAUCHEN SIE NICHT.

|189| Fremdes Heu
    In kleinen Orten ist gegenseitige Hilfe, wenn es denn nottut, selbstverständlich. Auch in Amerika ist das ein ungeschriebenes
     Gesetz, von dem alle profitieren und an das sich daher auch alle gerne halten. Darum war es für mich das Normalste der Welt,
     als kurz nach unserer Heuernte Bauer Müsebeck um Hilfe bat. Er stand plötzlich auf dem Hof und erkundigte sich bei Sonja,
     ob denn der Mann zu sprechen sei. Ich war gerade aus Wien zurückgekommen und begrüßte ihn noch in «Stadtkleidung». Ich wunderte
     mich, dass mein Outfit offenbar eine sehr hemmende Wirkung auf Müsebeck hatte. Er druckste richtig rum. Verdammt, und ich
     dachte, man kennt sich inzwischen.
    «Ja, Herr Moor, nun sind wir ja auch am Heumachen, und unsere Hochdruckpresse, die wollte heute Mittag nicht mehr so richtig.
     Nun

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