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Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Titel: Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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Ich erinnere mich gut, wie stolz der Rotacher war, als er sich einen waschechten fabrikneuen Hürlimann leisten konnte, eine
     Mordsanschaffung, der Rolls-Royce unter den Traktoren. Wenn man damals in der Schweiz eine Maschine als besonders zuverlässig
     beschreiben wollte, sagte man «läuft wie ein Hürlimann».
    Diese Traktoren schaffte man einmal an, und dann liefen sie und liefen sie, ein Bauernleben lang. Tatsächlich ist die Firma
     Hürlimann pleitegegangen und an einen italienischen Traktorenhersteller verhökert worden, weil das Geschäft zusammenbrach,
     als praktisch alle Schweizer Bauern Hürlimänner hatten, die liefen und liefen und einfach nie kaputtgehen wollten, sodass
     niemand einen neuen Hürlimann kaufen musste. Die Hürlimann-Ingenieure hatten sich buchstäblich selber arbeitslos gemacht,
     indem sie zu gute Arbeit leisteten.
    Als der Rotacher seinen Hürlimann persönlich im Traktorenwerk abholte, ging es der Firma noch prächtig, und es gab ein großes
     Fest auf dem Rotacherhof zu Ehren des neuen Familienmitglieds, des rot und chromglänzenden nigelnagelneuen Hürlimann. Gemeinsam
     mit den anderen Festgästen stand ich vor dem mit Blumen geschmückten Wunderding und staunte es an. Mein Bubenherz klopfte.
     Ich glaube, ich habe nie wieder einen Menschen so glühend |175| bewundert und so heiß beneidet wie den Bauern Rotacher auf seinem Traktor. «So einen will ich auch einmal, wenn ich groß bin»,
     meldete ich zu ihm hinauf. Er lachte, beugte sich von seinem Sitz tief zu mir herunter und sagte verschwörerisch: «Ja, wenn
     du ganz, ganz fleißig bist und viel lernst und die Arbeit nicht scheust, dann kannst du dir später gewiss auch mal einen Hürlimann
     kaufen!»
    Jetzt war es also so weit, jetzt konnte ich diesen Traktor haben. Nicht irgendeinen, genau diesen. Ein Zeichen des Himmels!
     «Nimm den, das ist beste Schweizer Qualitätsarbeit», jubelte mein kleiner Schweizer, und ich jubelte mit. Was stand da? Viertausend
     Arbeitsstunden hat er erst runter? Das ist ja fast nichts. Für einen Hürlimann ist das sogar gar nichts. Praktisch neuwertig!
     Ich schlug zu.
    Drei Wochen später kommt der Hürlimann,
mein
Hürlimann, an. Huckepack per Lastwagen. Der Transporteur schlägt die Plane zurück, und mein Herz tanzt Bocksprünge. Da steht
     er. Nicht ganz so glänzend wie damals auf dem Rotacherhof – er hat ja nun, wie auch ich, ein paar Jahre mehr auf dem Buckel   –, aber er sieht noch immer prächtigst aus. Wenn ich mich auch so gut gehalten hätte, ich wäre zufrieden.
    «So, dann laden wir doch mal ab», fordere ich den Fahrer auf.
    «Mir soll’s recht sein», sagt er. Macht aber keine Anstalten, aktiv zu werden, sondern sieht mich nur erwartungsvoll an.
    «Was ist?», frage ich
    «Ja, ich warte, bis Sie endlich abladen.»
    «Ja, wie soll ich denn abladen – ich dachte, das erledigen Sie?»
    «Nö.»
    «Wie, nö? Sie müssen doch in der Lage sein, abzuladen!» Langsam werde ich ärgerlich.
    «Ja, wie denn?», fragt er stupide.
    |176| «So, wie Sie aufgeladen haben. Irgendwie haben Sie das Ding doch auch auf Ihren Lastwagen raufbekommen, oder?»
    «Ich hab den von der Deutschen Bahn übernommen. Die haben Rampen.»
    «Ich bin aber nicht die Deutsche Bahn, und ich habe keine Rampe, und in meinem Liefervertrag steht ‹Frei Haus›!»
    «Hab ich ja gemacht, ich steh doch vor Ihrem Haus.»
    «Ja, Sie, aber nicht der Hürlimann.»
    «Wer?»
    «Der Trecker!»
    «Doch, der Trecker steht auch vor Ihrem Haus, darum bin ich ja hergefahren.»
    «Meines Erachtens, guter Mann, steht der Trecker erst dann vor meinem Haus, wenn er auf der Straße vor meinem Haus steht.»
    «Steht denn, wo er stehen muss, auch in Ihrem Liefervertrag? Guter Mann?»
    Mir wird das jetzt alles zu blöde. Jetzt ziehe ich andere Saiten auf, jetzt werden die Samthandschuhe in die Fehde geworfen,
     jetzt   …
    «Hören Sie, mir wird das alles zu blöde», stelle ich mit entschlossener, wenn auch leicht bebender Stimme fest. «Mir nützt
     der Traktor nichts, wenn ich nicht damit fahren kann, und ich kann damit nicht fahren, solange er auf Ihrem Laster steht.
     Und jetzt erzählen Sie mir nicht, dass der Traktor sehr wohl auch fährt, wenn Sie mit dem Lastwagen fahren! Er muss auf meinem
     Feld fahren, das heißt, er muss mit seinen eigenen Rädern Bodenkontakt haben, das heißt, er muss RUNTER VON IHREM LASTWAGEN!»
    Erschöpft, von Frust überwältigt, breche ich ab. Zünde mir eine Zigarette

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