Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht
hab ich seit ’ner Stunde daran herumgeschraubt, aber da ist wohl die Hauptwelle im Eimer. Ihre hat ja noch Keilriemen,
hab ich gesehen, meine ist ein wenig neuer, schon mit Gelenkwelle. Ist zwar besser, aber wenn se hin ist, denn ist das eben
mit der Ausbauerei und bis die neue Welle da ist und denn wieder reingefriemelt …»
|190| Er stockte. Müsebeck stockte! Das gibt es doch nicht, dachte ich mir, was macht den denn so unsicher? Und dann begriff ich,
dass ihm meine Kleider vollkommen wurscht waren. Der Mann hatte ein Problem, weil er dabei war, mich um Hilfe zu bitten. Er
mich.
«Ich kann gerne morgen rüberkommen und Ihnen das restliche Heu pressen», sagte ich schnell.
«Det wäre nett. Übermorgen soll’s ja Regen geben, drum.»
«Herr Müsebeck, gar kein Thema, ich hab Zeit, und ich mache das sehr gerne.»
«Wir dachten, wir fangen so um zehne an, wenn der Tau abgetrocknet ist, denn müssten wir zu Mittach fertig sein.»
«Von mir aus kann’s auch Abend werden, ich habe morgen frei. Bin um Punkt zehn Uhr bei Ihnen.»
«Jut», sagte Müsebeck, tippte an seinen Hut, und weg war er.
Am nächsten Tag war ich mit Hürli und Heupresse genau «am zäni» vor Ort. Der kleine Schweizer gab mir hundert Pünktlichkeitspunkte.
«Schon da?», begrüßte mich Müsebeck. «Na, denn wollen wir mal.»
Und wir pressten. Um sechzehn Uhr zwölf, also genau «zu Mittach», waren wir fertig.
Einige Tage später klopfte Müsebeck wieder an. Nach dem knappen Tag gemeinsamer Arbeit waren wir einander vertraut geworden.
Sonja bot ihm Kaffee an, den er nicht ausschlug, wir setzten uns unter den Kirschbaum. Es war zwar derselbe Platz wie bei
Müsebecks erstem Besuch, dennoch war alles ganz anders. Tisch und Stuhl aus Holz statt Plaste, keine Unsicherheiten, keine
mühsame Konversation. Keine Horrormeldungen. «Tja, ich wollte mich mal ehrlich machen», eröffnete Müsebeck.
Ich schaute verwirrt zu Sonja. Sie begriff offenbar auch nicht, was er meinte.
|191| «Ja, gerne», sagte ich aufs Geratewohl, «äh, was können wir denn für Sie tun?»
Nun war er seinerseits verwirrt. «Wieso Sie für mich?
Ich
wollte mich doch ehrlich machen, wegen dem Heu!»
Meine Gedanken rasten. Was könnte denn beim Heu nicht ehrlich gelaufen sein? Sollte ich bei unserer eigenen Ernte in der Euphorie
über mein Land hinaus gemäht haben, in sein Stück hinein? Kaum, da hat mein kleiner Schweizer viel zu gut aufgepasst. Oder
hatten wir etwa vergessen, das Heu, das er letztes Jahr für uns eingebracht hatte, zu bezahlen?
«Ist denn da vom letzten Jahr noch was offen?», fragte ich halb zu Sonja, halb zu Müsebeck.
«Soviel ich weiß, nicht», sagte Sonja bestimmt.
«Warum vom letzten Jahr?», fragte Müsebeck. «Det hab
ich
doch für
Sie
eingebracht. Es geht um das Heu von neulich!»
«Was ist damit?», fragte wieder ich.
«Na, det haben ja
Sie
für
mich
gepresst, da muss ich mich doch jetzt ehrlich machen.»
Endlich fiel bei mir der Groschen. «Ach, jetzt versteh ich erst, Herr Müsebeck. Ich kannte den Ausdruck ‹ehrlich machen› nicht.
Nein, um Himmels willen, das habe ich gerne gemacht. Das bisschen Pressen, das geht doch unter ‹Nachbarschaftshilfe›, das
ist doch klar. Da nehm ich sicher nichts dafür.»
«Na, denn bedank ich mich. Hab mir schon gedacht, dass Sie so reagieren. Also, wenn ich mal was für euch tun kann, lasst es
mich wissen.»
«Machen wir ohne Zögern», versprach ich.
«Und nun könnte man ja auch diese Sie-Sagerei allmählich lassen, wenn ihr nichts dagegen habt», sagte Müsebeck und streckte
Sonja die Rechte entgegen. «Ich bin Godehardt.»
«Sonja», sagte Sonja, «freut mich sehr, Godehardt.»
|192| «Mich auch, Godehardt. Dieter», sagte ich und schüttelte seine Hand.
«Wein?», fragte Sonja
«Jo», sagten Müsebeck, äh … Godehardt und ich im Chor.
Es wurden zwei Flaschen. Und es wurde ein sehr schöner Abend. Als Godehardt seinen Hut aufsetzte und aufbrechen wollte, stoppte
ich ihn. «Einen Moment noch. Ich hab eine Bitte, Godehardt.»
«Sag an, Dieter.» Er schaute mich erwartungsvoll an.
«Also, ich wollte dich fragen, Godehardt, ob ich, obwohl wir jetzt per Du sind, weiter ‹Müsebeck› zu dir sagen darf.»
«Nur zu.» Er zuckte mit den Schultern. «Das machen alle so. Versteh gar nicht, warum.» Sagte er, tippte an seinen Hut und
war weg.
Als ich leicht beduselt im Bett lag, gingen mir die Geschichten, die Müsebeck erzählt hatte, noch lange
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