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Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Titel: Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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der Heuduft in die Nasen. Wir schlemmten Wildschwein
     und Bratkartoffeln und frischen Salat und dunkles Brot und Alpenkäse   … es war paradiesisch. Jeder erzählte von seinen Heu-Heldentaten, es wurde viel gelacht, und für diesen einen Abend waren
     all diese völlig verschiedenen Menschen aus verschiedenen Ländern, mit verschiedenen Berufen und Mentalitäten eine eingeschworene
     Gemeinschaft.
    An diesem Abend erfuhren wir von Teddy, wer unsere Bekannte mit dem schönen Garten und dem freundlichen fuchsroten Hund, wer
     Schwester Alma eigentlich ist. «Es gibt keinen Amerikaner unter dreißig, wo Schwester Alma dem seinen Hintern nicht getätschelt
     hat, det sach ich euch   …», begann Teddy.

|181| Schwester Alma
    Es gibt keinen Amerikaner unter dreißig, dessen nackten Hintern Schwester Alma nicht getätschelt hätte. Mit der flachen Hand,
     bis zum Schreien. Bis sie sicher sein konnte, dass das jetzt klappt mit der Atmerei. Unter den sicheren Griffen ihrer Hände
     haben sie alle schreiend ihren Weg ins Diesseits angetreten.
    Schwester Alma ist früher die Dorfhebamme gewesen. Und bei einer Geburt können sich die Menschen nicht verstellen. Weder die
     vor Schmerz wimmernden Mütter noch die hilflos-nervösen Väter und schon gar nicht die kleinen glitschig-verschmierten Würmer
     bei ihren ersten Schnaufern. Wenn es um Leben und Tod geht (und das tut es nun mal bei einer Geburt), sind die Menschen ganz
     sie selbst. Ungeschminkt. Pur. Und darum braucht Schwester Alma nur zu gucken, wenn ihr einer krummkommt. Und schon erinnert
     sich der Betreffende, was diese Augen gesehen haben, welche Intimität man mit dieser Frau teilt. Nein, da hilft kein Prahlen
     und kein Trompeten, Schwester Almas Blick stutzt jeden auf das zurück, was er ist: ein Menschlein, das kommt, eine Weile lang
     schnauft und dann vergeht.
    |182| Schwester Alma ist eine Autorität geblieben im Dorf, obwohl sie jetzt schon viele Jahre nicht mehr als Hebamme wirkt, sondern
     im nahegelegenen Kreiskrankenhaus arbeitet. Nach der Wende hatte sie sich nämlich weiterbilden lassen. Zur O P-Schwester .
    Und wer weiß, es kann ja gut sein, du liegst eines schlimmen Tages vor ihr auf der Bahre. Bewusst- und willenlos, niedergespritzt
     für die Operation. Und Schwester Alma betrachtet dich in aller Ruhe, sieht dir mit ihren grünen Augen bis in die Seele, hinter
     deine leblos-schlaffe Narkosefresse, und lässt vielleicht nochmal ihre letzte Begegnung mit dir Revue passieren, wo du sie
     womöglich angeblafft hast, und denkt sich vielleicht, na, nun liegst du da, vor mir, in deinem Spitalskittelchen, babyklein
     und bescheiden, und machst keinen Piepser mehr, du Würmchen. Und dann schnippst der Chirurg vielleicht mit den Fingern, und
     sie greift sich das Skalpell und legt es, vielleicht mit einem seltsamen Lächeln, in seinen Latexhandschuh, und dann   … Nö, also vor Schwester Alma wahrt man besser einen gewissen Respekt.
    Dieser Respekt wird aber auch zu einem guten Teil genährt durch die Geschichten, die man sich über Schwester Alma erzählt.
     Zum Beispiel, dass sie ihre Tochter selbst entbunden hat. Ohne Hebamme, oder besser gesagt, mit sich selbst als Hebamme. Die
     Nachbarin hatte Schwester Alma schreien und stöhnen gehört, war rübergelaufen und fand sie in ihrem Schlafzimmer auf dem Bett
     in Wehenkrämpfen. Alles für die Geburt Notwendige war um das Bett herum drapiert. Griffbereit. Tücher, in einem großen Topf
     das berühmte heiße Wasser, eine Gummimatte, Watte, eine Chirurgenschere. Auch ein Spritzbesteck samt einiger Ampullen fehlte
     nicht.
    «Wo ist denn die Hebamme hin?», fragte die Nachbarin, entsetzt über die Verantwortungslosigkeit, die Gebärende ausgerechnet
     in der Zielgeraden im Stich zu lassen.
    |183| «Die Hebamme bin doch ich, Dummerchen», stöhnte Schwester Alma.
    Die Nachbarin konnte es nicht fassen «Du kannst doch nicht hier ganz allein   … Warum hast du keine holen lassen?»
    Schwester Alma wurde von einer Schmerzwelle überrollt. Sie presste etwas von «nicht ins Handwerk pfuschen lassen» zwischen
     ihren zusammengepressten Zähnen hervor.
    «Aber das geht so doch nicht, du musst doch   … Ich hol den Doktor.» Die Nachbarin war schon bei der Tür.
    «Wenn du das machst, dann   …» Schwester Alma schrie sich über die Schmerzwelle hinweg. Die Nachbarin hielt das nicht aus, wollte raus, Hilfe holen, doch
     sie wurde gestoppt von Schwester Almas scharfem «Bleib!». Die Wehe verebbte,

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