Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht
an.
Pause.
«Kann ich Sie um eine anschnorren?», fragt der Fahrer. Wir rauchen. Friedenszigaretten.
|177| «Gibt es denn hier keinen, der uns Auffahrrampen ausleihen könnte?», schlägt er vor.
Geistesblitz: Müsebeck. Ich rufe ihn an. Er hat Rampen, wir sollen rumkommen. Also klettere ich zum Fahrer in die Kabine,
und wir rollen auf Müsebecks Hof. Der schiebt sich sein Lederhütchen in den Nacken und sagt: «Det wird nix.»
«Warum?», frage ich.
«Sie haben ja nicht gesagt, dass die Ladefläche so hoch ist. Da sind meine Rampen zu kurz, aber wir können’s ja trotzdem probieren.»
Natürlich klappt es nicht mit Müsebecks Auffahrrampen. Als wir sie anlegen, zeigt sich, dass sie die Ladefläche in viel zu
steilem Winkel mit dem Boden verbinden. Meinen Traktor da runterrollen zu lassen ist unmöglich.
«Bei der Deutschen Bahn die Rampen, das waren zwo fufziger. Das hier sind eins achtziger», lautet der extrem hilfreiche Kommentar
des Transporteurs. «Und dem hast du eine Zigarette gegeben», mokiert sich der kleine Schweizer.
Zum Glück erweist sich Müsebeck als guter Improvisator. Er leitet uns an, den Laster rückwärts gegen einen kleinen Erdwall
zu manövrieren. Indem wir die Rampen auf den Wall legen, verflacht sich der Winkel zur Ladefläche. Bingo!
Der Lastwagen ist schon längst von Müsebecks Hof gerollt, als wir beide noch immer um den Hürlimann streichen, wie zwei Jungs
um ein neues Spielzeug. Ich, weil ich meine Anschaffung kennenlernen muss, Müsebeck, weil er von diesem ihm unbekannten Exoten
fasziniert ist. Oberlenker, Unterlenker, Hydraulikanschluss, Anhängerflansch, Zapfwelle, Untersetzung, Standgashebel, Drehzahlmesser,
Dieselpumpe, Sitzverstellung, Lenkstangenlager … es gibt viel zu begutachten. Müsebeck schenkt mir, indem er den Hürlimann inspiziert, ganz nebenbei eine Eins-a-Lektion
in Treckerkunde. |178| Schließlich steige ich auf. Müsebeck lehnt sich seitlich gegen den Traktor, legt einen Arm über die Kühlerhaube und sagt:
«Denn meinen Sie es nu also ernst mit Ihrem Hof, wenn Sie sich einen Trecker anschaffen, wa?»
«Na ja, was wir machen können, das wollen wir schon machen», antwortete ich. «Mal sehen. Erst mal muss das Heu rein, und dann
sehen wir weiter.»
Müsebeck nickt. «Eins nach dem anderen, sag ich auch immer», und dann tätschelt er mit der flachen Hand das Blech. «Schick.
Sieht ganz brauchbar aus. Kommt gut, Ihr Hühlimann.» Er tippt grüßend an die Hutkrempe und dreht ab.
Sein Kompliment ist mir mindestens ebenso viel wert wie dem Schweizer Bauern Rotacher damals das Fest. Und als ich hoch zu
Hürlimann durch Amerika nach Hause dröhne, höre ich ganz deutlich die Stimme vom alten Rotacher: «Siehst du, ich hab’s dir
ja gesagt!»
|179| Heu
Der Hürli, wie ich ihn nun liebevoll nannte, machte seinem Ruf und Müsebecks Urteil alle Ehre. Er mähte, wendete, schwadete,
sammelte, presste unser Heu ohne das kleinste Murren. Zur Heuernte reisten Bekannte und Freunde zuhauf an. Fernsehmenschen,
Journalisten und Filmleute aus Berlin, alte Bekannte aus Wien und sogar unsere Nachbarn vom Hof in der Schweiz kamen und wollten
mal schauen, wie das Heumachen sich im Flachland so anfühlt. Mit dabei natürlich und fast so unermüdlich wie der Hürli: Teddy,
der seine «Forke» schwang. (Während sich die Auswärtigen mit Heugabeln behelfen mussten.)
Wer nie bei einer Heuernte dabei gewesen ist, wer nie diese große körperliche Anstrengung in der Sommerhitze durchlitten hat,
nie das Jucken des Heustaubes auf der schweißnassen Haut erlebte und wie sich die Lungen im unverkennbaren Teeduft frischgetrockneter
Wiesenkräuter weiten, wer nie staunend feststellte, zu welchen Anstrengungen er fähig ist, wenn das Heu noch nicht ganz unter
Dach ist und sich am Horizont die bedrohliche graue Wand eines Sommergewitters auftürmt – der kann nicht nachvollziehen, |180| wie groß der Jubel ist, wenn das letzte Bund eingefahren wurde und in der nächsten Minute die ersten fetten Regentropfen vom
schwarzen Himmel knallen, wie riesig der Stolz jedes Einzelnen auf die eigene vollbrachte Leistung ist.
Mit wohlig schmerzenden Gliedern, pochenden Muskeln und zerstochenen Armen versammelte sich am Abend unserer ersten Heuernte
die ganze Heu-Bande um zwei zusammengeschobene Tische im Garten. Das Gewitter hatte sich verzogen, die Sonne warf ihr rotes
Abendlicht flach über die leergeerntete Wiese, aus der Scheune wehte uns
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