Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht
ihr niemals von der Seite wich und eine womöglich noch respektablere
Erscheinung abgab als sie selbst. Er hieß Iwan, nach «Iwan dem Schrecklichen». Iwan war ein riesenhafter Schäferhund. Wenn
jemand so unvorsichtig war, die Wirtin auch nur leise zu berühren, und sei es ein kumpelhaftes Klopfen auf ihre massige Schulter,
fuhr Iwan wie ein Blitz dazwischen und fletschte drohend sein beeindruckendes Gebiss. Sein tiefes Knurren ließ keinen Zweifel
aufkommen: Für die Babuschka war er bereit zu töten. «Ist gut, Süßer, gib Ruhe», sagte sie dann, und das Tier verwandelte
sich vom blutgierigen Monster zurück in Babuschkas zahmes Hündchen.
Es muss kurz vor der Wende gewesen sein, die Rote Armee war sozusagen pleite, die niedrigen Ränge erhielten ihren spärlichen
Sold nur noch unregelmäßig, wenn überhaupt. Für die Familien dieser Männer, zu Hause in Russland, war das eine Katastrophe.
Sie mussten frieren und hatten kaum etwas zu beißen. Darüber waren die Soldaten hier, im fernen Amerika, entsprechend verzweifelt. |204| Und im gleichen Verhältnis mit ihrem wachsenden Frust schwollen die Wodka-Bäche an, die sie bei der Babuschka durch ihre Kehlen
rauschen ließen.
Es geschah an einem der seltenen Abende, an denen wieder mal Sold ausbezahlt worden war. Bei der Babuschka herrschte Hochbetrieb,
die Männer machten sich ehrlich, beglichen, was sie hatten anschreiben lassen, und legten noch was obendrauf für künftige
Trinkgelage. Die Kasse der Babuschka, eine stählerne Schatulle mit Schloss, war so prall gefüllt wie selten. Mit immer neuen
Liedern und immer noch einer Runde Wodka wurde die Sperrstunde tiefer und tiefer in die Nacht verschoben, bis schließlich
der Morgen leise zu grauen begann.
Als die Soldaten endlich über die Felder Richtung Kaserne torkelten, da wurde einer von ihnen vom Mitleid übermannt. Vom Mitleid
mit seiner Familie zu Hause, die fror und hungerte und auf seinen Sold wartete. Der aber lag in der Stahlschatulle der Babuschka.
Zusammen mit dem ganzen Sold seiner Kameraden. Unmengen von Rubelchen. War das gerecht? Was machte die Babuschka mit dem Geld
seiner armen Frau? Sollten seine Kinderchen verhungern, damit die Babuschka ihren fetten Köter mästen konnte? Nein, das durfte
er nicht zulassen, ein Mann hat seine Familie zu verteidigen.
Also wankte er zurück nach Amerika, polterte an die Tür vom «Wilden Eber» und schrie nach der Babuschka. Die war gerade mit
der Abrechnung fertig geworden, wollte die Kasse verstauen und hatte nicht die geringste Lust, dem krakeelenden Russen da
draußen noch einen Schnaps auszuschenken.
«Kriegen die den Rand denn gar nicht voll? Verdammt, dem werde ich seinen Weg in die Koje schon zeigen», dachte sich die Babuschka,
riss die Tür auf, holte Luft und … da war der andere wieselflink schon in der Gaststube. Iwan kam hinter dem Tresen vor, geduckt, die Ohren angelegt, wachsam,
er spürte, da stimmt etwas |205| nicht. Sein Rückenfell sträubte sich. «Babuschka», schrie der Russe, noch weiteres Unverständliches und deutete auf die Stahlschatulle
auf dem Tresen. Die Babuschka schob sich instinktiv zwischen den Mann und die Schatulle. Der Russe sah die freie Sicht auf
sein Geld, das Geld seiner Familie, verdeckt und wollte das Hindernis beiseiteschieben. Iwan sprang ihn sofort an, er wich
zurück, stolperte, kam zu Fall, lag auf dem Rücken. Der Hund stand zähnefletschend zwischen seinen Beinen.
«Babuschka, bittä, njet.» Die Stimme des Soldaten zitterte.
«Ist gut, Süßer, gib Ruhe», sagte die Babuschka, der Hund trollte sich an ihre Seite. «Und jetzt scher dich aus meiner Kneipe
und schlaf deinen Rausch aus, Bürschchen», raunzte sie.
Der andere rappelte sich hoch, langsam, den Hund nicht aus den Augen lassend, ging rückwärts zur Tür, drehte sich um und … Statt rauszutreten, vollendete er die Drehung, bis er wieder stand wie vorher, aber jetzt hatte er ein Messer in der Hand.
Und schrie und sprang die Babuschka an, mit dem Messer. Der Hund schnellte dem Mann aus dem Stand entgegen, der hob den Arm,
das Messer am Hals des Tieres, die Zähne gruben sich in die Hand, der Hund jaulte auf, prallte auf den Boden, das Messer fiel,
der Mann presste die eine Hand in die andere, wandte sich ab, floh.
Iwan lag auf den Dielen, versuchte zu winseln, konnte nur röcheln. Ein mattes Wedeln, als sich die Babuschka über ihn beugte.
«Ist gut, Süßer, ist ja gut, ist gut, ist
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