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Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Titel: Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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sich,
     lernte, bescheiden zu sein, nicht aufzufallen und sich an die gegebenen Strukturen anzupassen wie Isolierschaum. Jedem Konsum-Laden
     wurde von der Zentrale zugewiesen, was die statistisch erfassten Bürgerinnen und Bürger an Lebensmitteln, Kleidung und anderen
     Konsumgütern zur Bestreitung des täglichen Bedarfs nach ebendieser Statistik benötigten. So stellte der Konsum sicher, dass
     immer und überall alles vorhanden war, was das Volk brauchte. Und das Volk brauchte ja bekanntlich nur, was der Konsum hatte!

|201| Iwan der Schreckliche
    Unsere Berner Sennenhunde haben sich in Amerika schon einen guten Ruf erhechelt. Fast täglich ist Sonja mit ihnen im Dorf
     unterwegs. Die Kinder rufen schon von weitem «Mooomo, Zooora!», wenn sie die hampelpampeligen Zotteltiere sehen. Und die Erwachsenen
     schütteln nicht mehr die Köpfe, wenn wir die braunen Hinterlassenschaften der beiden fein säuberlich in einem kleinen Plastiksäckchen
     entsorgen – sehr zum Wohlgefallen des kleinen Schweizers. «Wir haben es schließlich erfunden, oder, das Patent mit den Plastiksäcken
     als mobilen Hundeschyssi.»
    Am meisten von allen aber freut sich Sally, der Hund von Schwester Alma, über das Auftauchen von Momo und Zora. Und sie darf
     sich oft freuen, die meisten unserer Hundespaziergänge führen fast zwangsläufig an Schwester Almas Haus vorbei. Und manchmal,
     wenn Frauchen gerade auch im Garten ist, bittet sie uns herein, dann freuen sich die Hunde an ihrer Freundschaft, und die
     Menschen freuen sich an der Freude der Hunde, und ehe sie sichs versehen, haben sie es den Tieren nachgemacht und freuen sich
     aneinander.
    |202| So sitzen wir wieder einmal in Schwester Almas Blumenpracht und berichten einander über die Streiche und Eigenarten unserer
     Hunde, da überrascht sie uns mit einem Geständnis: «Nie hätte ich gedacht, dass ich einmal einen Hund so lieb haben könnte
     wie Sally. Ich hatte es früher nämlich nicht so mit Hunden, hätte ja auch gar keinen halten können, neben der Arbeit und dem
     Kind.» Sie nimmt Sallys Kopf in die Hände, schaut ihr tief in die Augen und sagt: «Und meine erste nähere Begegnung mit einem
     deiner Artgenossen war auch nicht von Pappe.»
    So hören Sonja und ich die Geschichte von Schwester Alma und dem großen Hund beim ersten Mal von der Protagonistin selbst.
     Später sollten wir sie von anderen Amerikanern noch in weiteren Varianten hören. Es ist eben eine dieser Schwester-Alma-Geschichten,
     die man sich im Dorf immer wieder gerne erzählt. Mal ausführlicher, mal kürzer als «weißt du noch»-Geschichte, mal als Drama,
     mal als lustige Anekdote. Aus all diesen Varianten ist in meinem Kopf die Geschichte von «Iwan dem Schrecklichen» entstanden,
     wie sie sich in Wahrheit zugetragen haben muss. Zumindest in meiner Wahrheit.
    Sie ereignete sich vor vielen Jahren, als Schwester Alma noch Dorfhebamme war und es in Amerika neben dem Gasthaus, in welchem
     Sonja ihre erste «Strippe» gegessen hat, noch drei weitere Lokale gab, unter anderem den «Wilden Eber». Der urige Name passte
     zu den Gästen und deren Gepflogenheiten. Der Ton war rau und direkt, die russischen Soldaten kamen regelmäßig vom nahen Flugplatz
     herüber auf ein Gläschen Wodka, gerne auch auf ein paar mehr. Die Wirtin hieß eigentlich Lotte, wurde von den Russen aber
     Babuschka gerufen und bald auch von den Amerikanern so genannt. Die Babuschka verstand sich auf russische Gepflogenheiten
     und schenkte das Hochprozentige nicht in diesen lächerlichen Fingerhütchen aus, die man in der Schweiz «Schnapsgläsli» nennt, |203| sondern in richtigen Gläsern – solchen, wie sie in helvetischen Badezimmern auf der Ablage vom «Lavobo» stehen, mit der Zahnbürste
     drin. Die Mundhygienegröße der Gläser im «Wilden Eber» zog natürlich auch die ganzen Kerls aus Amerika an, falls sie denn
     ganze Kerls waren.
    Dass es im «Wilden Eber» oft laut wurde und immer spät, wird niemanden erstaunen. Doch erstaunlich war, wie selten es zu ernsthaften
     Raufereien kam. Was zum einen an Babuschkas imposanter Erscheinung lag: Sie hatte eine veritable Holzfällerinnenpostur und
     Kraft wie drei Kerls zusammen. Sie konnte, wenn es sein musste, ohne auch nur schneller zu atmen, jeden Gast mit der einen
     Pranke am Hemdkragen, mit der anderen am Hosenboden packen und schwungvoll an die frische Luft segeln lassen. Auch durch die
     geschlossene Tür.
    Zum anderen hatte die Babuschka einen Verbündeten, der

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