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Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Titel: Was wir unseren Kindern in der Schule antun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sanbine Czerny
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weiß, dass viele Kinder sie falsch oder gar nicht bearbeiten werden. Und: Ich weiß auch schon vorher, welche Kinder die Aufgaben richtig beantworten werden. Nämlich meist jene, die aus einem bildungsnahen und oft auch finanziell besser gestellten Elternhaus kommen, die schon eine Zeit lang lesen können, die mit den Buchstaben vertrauter und die der Aufgabe gewachsen sind — durch ein bereits vorhandenes Sprachgefühl —, Wörter so genau zu lautieren, dass sie jetzt schon jeden Buchstaben heraushören.
    Der Unterschied zwischen den beiden Leistungsmessungsbeziehungsweise Beurteilungsarten, also der Unterschied zwischen Lernzielkontrollen und den nun geforderten Proben mit Notengebung ist gravierend und höchst fatal. Die Entscheidung für eine Beurteilung nach dem eben beschriebenen Prinzip einer Probe, notwendig zur Selektion im deutschen Schulsystem, ist meines Erachtens dafür verantwortlich, dass die Vereinten Nationen (UN) Deutschland schon 2007 zu Recht anklagten, ein diskriminierendes und sozial auslesendes Schulsystem zu haben, bei dem keine Chancengleichheit besteht. 2 Dieses System ist meiner Meinung nach dafür verantwortlich, dass die Kindheit zunehmend schon mit dem Eintritt in die Schule endet,
Kinder richtiggehend krank gemacht werden und der Familienfriede beeinträchtigt wird. Dieses System ist dafür verantwortlich, dass unsere Kinder nicht nachhaltig lernen, nicht in ihrer ganzheitlichen Entwicklung gefördert werden und oft ein völlig falsches Selbstbild aufbauen. Es ist dafür verantwortlich, dass das kooperative Lernen an unseren Schulen Makulatur bleibt und nicht zu echter Team- und Beziehungsfähigkeit führt.
    Aber mit dieser Art der selektierenden Beurteilung wird die Mehrgliedrigkeit unseres Schulsystems begründet und ein diskriminierendes System aufrechterhalten, das allen Kindern und der Gesellschaft insgesamt schadet. Obwohl sogar nach den Vorgaben der Kultusministerkonferenz alle Kinder bis Note „Vier” die Anforderungen erfüllen, ja selbst die Note „Fünf“ nur relativ leicht behebbare Mängel aufzeigt, schließen wir in Bayern ab einem Notendurchschnitt von 2,33 in den Hauptfächern Viertklässler von der gymnasialen Laufbahn aus. Ab einem Durchschnitt von 2,66 dürfen sie auch nicht auf die Realschule übertreten.
    Würden wir wenigstens jene Kinder „aussortieren“ — was ich ebenfalls für fragwürdig hielte — die die Lernziele tatsächlich nicht erreicht haben, wäre das ja noch verständlich. Aber wir selektieren in einem Bereich, in dem alle Kinder die Lernziele erreicht haben!
    Kein Wunder, dass der Kampf um die wenigen Plätze an den weiterführenden Schulen immer zeitiger und immer verbissener beginnt, kein Wunder, dass Kinder demoralisiert werden, weil sie sich aufgrund dieser Beurteilungsform für dumm halten, kein Wunder, dass es für immer mehr Menschen darum geht, formalen Kriterien zu genügen, statt freudvoll und nachhaltig zu lernen. Kein Wunder, dass kleine Defizite zu großen Problemen werden und Individualität keinen Platz mehr hat. Dabei ist die Form der Beurteilung völlig unerheblich, es macht keinen Unterschied, ob Ziffernoten, Wortgutachten oder Beurteilungen durch Punktesysteme gegeben werden, solange diese Bewertungen auf der Basis der genannten Vorgaben und mit der Zielsetzung der Selektion erstellt werden müssen.
    Wie unser Schulsystem Kinder krank macht und den Familienfrieden zerstört
    Eltern sind oft einfach sehr hilflos. In den vier Jahren vor dem Übertritt sind viele ihrer Handlungen verzweifelte Versuche, mit allen Mitteln die Weichen richtig zu stellen. Selbst wenn Eltern von Kindern in der ersten Klasse noch ruhig bleiben, hält dieser Zustand selten bis zum Ende der Grundschulzeit an. Spätestens dann, wenn sich die Mathematiknote des Kindes ohne ersichtlichen Grund von einer Zwei in der zweiten Klasse auf eine Drei in der dritten Klasse und schließlich eine Vier in der vierten Klasse verschlechtert, ist die Ruhe dahin. Eltern werden nervös, wenn ihre Kinder etwas nicht können. Nicht, weil ihre Kinder das noch nicht können, sondern weil sie es jetzt noch nicht können. Immerhin sind die Proben ausschlaggebend und damit der Zeitpunkt, wann diese Proben geschrieben werden. Zeit bekommt plötzlich eine ganz andere Dimension: „ Jetzt musst du es können.”, „Warum kannst du

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