Was wir unseren Kindern in der Schule antun
Bekanntenkreis erlebt hat, wie schwer es Jugendlichen fällt, die stark eingeschränkte Auswahl an Berufen zu akzeptieren, die ihnen mit ihrem Hauptschulabschluss noch zur Verfügung steht, der kann verstehen, warum es Eltern so wichtig ist, dass ihr Kind auf das Gymnasium oder wenigstens auf die Realschule kommt. Eltern wissen intuitiv schon lange, was Wissenschaftler unlängst belegt haben: Längerer Schulbesuch führt eindeutig zu einer prestigeträchtigeren Beschäftigung, zu mehr Anerkennung, sozialer Interaktion und zu besseren Bedingungen am Arbeitsplatz. Zudem sind Gebildete im Schnitt gesünder, seltener in psychiatrischer Behandlung und weniger häufig geschieden. Und mehr noch: Der höhere Bildungsgrad wirkt sich bis in die nächste Generation aus. Gebildetere haben gesündere, schulisch erfolgreichere Kinder, die ihrerseits die besseren Jobs bekommen. 3 Deutlich spürbar in den Elterngesprächen ist daher stets: Die Hauptschule gilt es zu vermeiden! Sie steht gleichbedeutend mit sozialem Abstieg, da der zweite Bildungsweg im Anschluss an die Hauptschule sehr schwierig zu bewältigen ist. Zudem ist den meisten Jugendlichen nach den vielen, für sie oft schrecklichen Schuljahren,
das verdiente Geld lieber als noch weitere Jahre auf der Schulbank, für die sie oft auch nicht mehr die notwendige Motivation und Anstrengungsbereitschaft aufbringen können.
Auch befürchten viele Eltern, dass ihr Kind sich in einem Umfeld von demotivierten, oft schon resignierten Kindern negativ entwickelt, und würden es lieber in einer âbesserenâ Umgebung sehen. Verständlich â denn die Veränderung in der Grundhaltung mancher Kinder zwischen der ersten und den höheren Klassen ist enorm. Ich habe schon oft mit Trauer festgestellt, wie sehr sie sich charakterlich verändert haben. Wo sind die leuchtenden Augen, wo die Sorgfalt, mit der sie Arbeiten ausführen, wo das Bemühen um gutes Benehmen? Und woher kommt diese Null-Bock-Stimmung, woher die Aggressivität?
Für viele Eltern zählt also, ihr Kind möglichst auf das Gymnasium zu hieven, denn ist es erst einmal dort, ist die Wahrscheinlichkeit recht groÃ, dass es sich dort halten wird oder höchstens auf die Realschule wechselt. Und ob es am Gymnasium mit einer Zwei oder Vier abschlieÃt, ist weniger wichtig â Hauptsache, es hat Abitur und damit viele Möglichkeiten. Eine gegenläufige Entwicklung ist erst in den letzten Jahren zu beobachten, weil das Ziel Abitur nun auch auf anderem Weg leichter erreicht werden kann. Manche Eltern geben ihr Kind nun bewusst nicht aufs Gymnasium, aus Furcht, ihre Kinder könnten dem Stress nicht standhalten, dem sie nach der Einführung der verkürzten Gymnasialzeit dort ausgesetzt sind. Das G8 schreckt zunehmend ab, die dort vorherrschende Atmosphäre wird zynisch schon âHydraulische Pädagogikâ genannt, weil Kinder dort unter so starkem Druck lernen. Ein wenig Kindheit â so heiÃt es â wolle man seinen Kindern doch noch gönnen und es sei ja noch nichts verloren. Ãber die FOS (Fachoberschule) lässt sich in Bayern auch nach dem Realschulabschluss das Abitur erwerben. Um individuelle Förderung, um die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit geht es bei alldem schon lange nicht mehr â es geht schlicht darum, den chancenreichsten Abschluss zu erlangen. Es geht um die reine Existenz.
Kein Wunder also, dass Eltern immer früher beginnen, alles dafür zu tun, dass die Weichen auch richtig gestellt werden.
Noten in der zweiten Klasse wurden beispielsweise mit der Begründung wieder eingeführt, die Eltern wollten diese Bewertungen. Dieses Argument ist nicht ganz falsch, nur man sollte fragen: Warum wollen die Eltern Noten? Eigentlich wollen auch Eltern nur gute Noten. Schlechte Noten will niemand. Und so geht es für sie hauptsächlich darum, so früh wie möglich zu erfahren, wo ihr Kind auf der Notenskala steht, um daran gegebenenfalls noch etwas ändern zu können. In der vierten Klasse ist es für MaÃnahmen, die auf Notenverbesserungen abzielen, schon viel zu spät, eigentlich sogar schon in der dritten. Denn jede Therapie dauert eine gewisse Zeit, und meist muss man allein mehrere Monate auf einen Termin für die Diagnose, dann auf die Genehmigung und schlieÃlich auf einen Platz warten. Die Terminkalender der Schulpsychologen sind häufig randvoll mit Tests und
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