Was wir unseren Kindern in der Schule antun
Selbstläufer geworden.
Der freudlose Kampf um ein âBesser als â¦â statt ein âGutâ
So wird immer früher begonnen â Mozart durch Kopfhörer an den Babybauch, Therapien ab dem Kindergarten, Frühenglisch, Nachhilfe, Lerncamps, Elternschulen, stundenlanges Lernen am Nachmittag, an den Wochenenden, in den Ferien â nur um gute Noten zu bekommen. Ums Lernen an sich, ums Erleben, ums Erfahren in seiner Vielfalt, in seiner Faszination, in seiner Unendlichkeit mit Kreativität und Eigensinn, Eigenheit und Lebendigkeit, mit unterschiedlichsten Menschen, am und mit dem Leben geht es dabei nicht. Zunehmend vergleichen die Eltern ihre Kinder mit anderen und sind erleichtert, wenn ihres ein paar Punkte mehr hat. Anfang der ersten Klasse hatten sie solche Allüren noch nicht, da ging es ihnen darum, dass ihr Kind gut lernt und sich wohlfühlt, dass die Klasse eine gute Gemeinschaft bildet und alle Kinder vielfältige und bereichernde Lernerfahrungen haben. Anfang der ersten Klasse haben viele ihren Kindern auch noch Zeit gegeben zu reifen, haben in Ruhe abgewartet, bis ihre Kinder einen weiteren Entwicklungssprung gemacht haben. Aber jetzt geht es darum, âmehrâ zu können, âmehrâ zu wissen, âmehrâ der gestellten Kriterien zu erfüllen, âbesserâ als jemand anders zu sein.
Wäre es nicht viel sinnvoller, würde es nicht so viel mehr Ruhe schenken, wenn es genügen würde, das zu können, was man gelernt hat, anstatt immer mehr als das wissen zu müssen? Wäre es nicht schön, wenn Kinder ihr Heft zuschlagen und sich anderen Dingen widmen könnten, sobald sie etwas verstanden hätten, anstatt weiter und immer weiter zu pauken â da man einfach nie weiÃ, welche Fragen für eine Eins oder Zwei beantwortet werden müssen, und die Vergabe dieser Noten daher in gewisser Weise in den Bereich der Willkür und Beliebigkeit fällt?
Es wird heute immer bizarrer, was Eltern tun, damit ihre Kinder gute Noten haben. Eine Mutter fälschte schon in der ersten Klasse die Proben und forderte weitere Punkte ein, schrieb Spickzettel für die Rechenaufgaben und beantwortete nachts für ihren Sohn die Fragen in einem Internet-Leseförderprogramm, dessen Ergebnis in die, im Prinzip noch nicht relevante, Zeugnisbemerkung einfloss. Sie wusste, dass der Eindruck, den Lehrer von einem Kind gewinnen, die Notengebung beeinflusst, und dass die einmal gefällten Urteile oft nicht mehr revidiert werden.
Ich kann mich auch noch gut an einen kleinen Erstklässler erinnern, übrigens kein Einzelfall, der noch sehr kindlich war und rasch ermüdete. Auch er hätte â zumindest meines Erachtens â einfach nur noch etwas Zeit gebraucht, um reifer zu werden, zu wachsen, obgleich er bereits zu den Ãlteren gehörte. Seine Mutter kam eines Tages in die Sprechstunde und forderte von mir, ich solle dafür sorgen, dass ihr Sohn unter die besten Fünf der Klasse käme. Sie war selbst Lehrerin und so konnte ich durchaus verstehen, warum gerade sie diesen Anspruch hatte. Es geht in unserem Schulsystem nicht darum, gut zu sein, es ist nur wichtig, besser zu sein als andere.
Nun, ich antwortete dieser Mutter, dass ich mich zwar um dieses Kind weiterhin liebevoll kümmern, es bestmöglich fördern und betreuen würde, ich aber ihrem Wunsch wohl nicht entsprechen könne. Wie sollte ich es schaffen, dass ihr kleiner Junge, der noch schnell ermüdete, leistungsmäÃig besser wurde als einige Kinder, die zu diesem Zeitpunkt schon kraftvoll in der Welt standen und die Mühen des Schulalltags einfach besser aushielten? Dieses Kind war nicht dümmer, es war nur einfach noch nicht so weit entwickelt. Alles, was es gebraucht hätte, wäre Zeit gewesen. Zeit, die man in diesem Schulsystem nicht hat. Zwei Wochen später erhielt ich ein Schreiben von einem Arzt und einen sechsseitigen Fragebogen, den ich auszufüllen hatte. Die Fragen in solchen Bögen sind nur sehr relativ und subjektiv zu beantworten. Zum anderen werden sie so gestellt, dass man bei jedem Kind genügend Punkte ankreuzen kann: Bewegt sich das Kind hin und wieder unruhig
auf seinem Platz? Träumt es manchmal vor sich hin? Ehrlich gesagt, bin ich sogar froh darum, dass die meisten Kinder das tun, so weià ich wenigstens, dass ich noch Kinder vor mir habe und nicht schon angepasste Mustermenschen. Wie auch immer, weitere zwei
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