Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Titel: Was wir unseren Kindern in der Schule antun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sanbine Czerny
Vom Netzwerk:
über die Möglichkeiten, die Symptome zu mildern oder gar zu heilen.
    Â 
    Die Geschichte einer „Krankheit“ 3
    Das Problem verhaltensauffälliger, unruhiger Kinder ist schon lange bekannt und wurde bereits 1844 als Zappelphilipp im Struwwelpeter thematisiert. Unter verschiedenen Namen wurden diese Auffälligkeiten immer wieder von Kinderärzten und Psychiatern beschrieben und dafür sehr unterschiedliche Ursachen genannt, von Vererbung (1878) bis zu falschen Erziehungsmethoden (1929). Nach dem zweiten Weltkrieg legte man den Fokus zunehmend auf biologische Ursachen. 1944 synthetisierte der Chemiker Leandro Panizzon das Stimulans Methylphenidat, kurz darauf entdeckte man seine beruhigende Wirkung auf Kinder. Das Mittel wurde 1954 zugelassen und kam unter dem Namen Ritalin auf den Markt. Fast zeitgleich entwickelte sich der Begriff des hyperkinetischen Syndroms, dessen Ursache hirnorganisch lokalisiert wurde. Die Bezeichnungen der Störung wechselten mehrmals.
    Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nahm 1974 die Symptome in ihren Kriterienkatalog für Krankheiten ICD-8 auf. ICD (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) ist ein international anerkanntes und eingesetztes statistisches Klassifikationssystem für Krankheiten und Gesundheitsprobleme. Die Weltgesundheitsorganisation gibt dieses System heraus und aktualisiert es immer wieder entsprechend.

    1981 verband die American Psychiatric Association in ihren Leitlinien DSM-III (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) Hyperaktivität mit Aufmerksamkeitsstörung, die neue Krankheit bekam die Bezeichnung ADHD (Attention Deficit Hyperactivity Disorder). Von beiden Institutionen wurden die Kriterien in zeitlichen Abständen immer wieder geändert und dabei willkürlich immer weitläufiger gefasst, sodass die genannten Verhaltensauffälligkeiten heute bei immer mehr Kindern und Jugendlichen als Krankheit eingestuft werden (derzeit gültig: DSM-IV von 1994 in der neuesten Fassung von 2007 und ICD-10 von 1991 in der neuesten Überarbeitung von 2009). Diesen Ansatz übernahmen sehr rasch Kinderärzte und Psychiater in allen Ländern. Ende der 1990er-Jahre stellte man in Deutschland erstmals die Diagnose ADHS in der Kinderpsychiatrie, allmählich verbreitete sie sich. Erst 2001 wurde sie über das Ärzteblatt auch anderen Medizinern bekannt. Seitdem die Symptome als Krankheit anerkannt sind, können die Behandlungskosten über die Krankenkassen abgerechnet werden.
    Â 
    Häufigkeit der Störungen
    In einer explosionsartigen Welle wurde diese Störung seither bei erschreckend vielen Kindern diagnostiziert. In Deutschland bekamen 2005 nach ICD-10 drei bis fünf Prozent aller Schulkinder (also 300 000 bis 500 000 Kinder!) die Diagnose ADHS. 4
    Wie in anderen Ländern ist der Verbrauch von Psychostimulantien auch bei uns in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen. Das belegen die aktuellen Zahlen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte: Wurden 1993 von den Apotheken in Deutschland noch 34 Kilogramm Methylphenidat in Form von Fertigarzneimitteln erworben, waren es 2009 bereits 1735 Kilogramm, also etwa 51-mal so viel wie 16 Jahre vorher! 5 Dies lässt sich nicht mit einer normalen Häufung der Krankheit ADS/ADHS erklären. Schon 2002 — in dem Jahr bestellten die deutschen Apotheken 628 Kilogramm Medikamente mit dem Stoff Methylphenidat — fand das Bundesgesundheitsministerium den damaligen Anstieg besorgniserregend. 6
    In den USA sind die Quoten noch erheblich höher, da hier die wesentlich weiter gefassten Leitlinien von DSM-IV angewendet werden. Die Zahl der Kinder, die entsprechende Medikamente erhielten, stieg
gemäß einer Studie des National Institute of Health (Washington) stark an. 7 Ritalin ist eines der am weitesten verbreiteten Medikamente in den USA für ADHS.
    Es wird geschätzt, dass weltweit 80 Millionen Kinder und Jugendliche aufgrund der Diagnose ADHS mit Psychostimulantien behandelt werden. 8
    Â 
    Ursachen von ADS/ADHS
    â€¢ Welche Ursachen die unter dem Begriff ADS/ADHS zusammengefassten Symptome haben könnten, konnte man bisher nicht ausreichend klären. Ohne stichhaltige Beweise erklären Ärzte, Psychologen, Pädagogen und die Pharmaindustrie genetisch bedingte Hirnfunktionsstörungen zur Ursache. 9 Dabei vertreten und übernehmen sie Thesen, die nur sehr vage

Weitere Kostenlose Bücher