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Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Titel: Was wir unseren Kindern in der Schule antun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sanbine Czerny
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Entwicklung, und du bist der Meister deines Lernprozesses.“ Und nicht: „Ich prüfe nach wenigen Wochen ab, was du dir von dem, was ich dir vorgebe, allein beibringen konntest.“
    Viele Eltern sind zutiefst verunsichert — was muss mein Kind denn nun eigentlich für die Probe können und wissen? Tatsächlich handelt es sich auch gar nicht um eine „richtige“ Freiarbeit, denn das, was die Kinder erarbeiten sollen, ist ja im Grunde festgelegt. Aber im Gegensatz zum normalen Unterricht, in dem der Lehrer wenigstens noch erklärt und Hefteinträge machen lässt, anhand derer die Eltern sich daheim noch ungefähr auf die zu erwartenden Kriterien der Probe einstellen können, bleiben die Kinder sich bei dieser „Freiarbeit“ oft selbst überlassen. Da hilft auch die Zusammenarbeit mit anderen Kindern wenig. Aber: Bei der Visitation kann der kontrollierende Vorgesetzte
den Punkt „Setzt Freiarbeit ein“ abhaken. Wichtig ist nur, dass sie gemacht wird, nicht, inwieweit sie wirklich sinnvoll und zielführend für die Kinder ist.
    Ein vielleicht noch besseres Beispiel: Portfolios. In vielen Alternativschulen erstellen die Kinder Portfolios, teilweise schon in den Kindergärten. Das heißt, alles, was sie so interessiert, mit was sie sich beschäftigt oder was sie sich erarbeitet haben, wird in einer Mappe zusammengeheftet, die sich „Portfolio“ nennt. Mit zunehmendem Alter gestaltet sich dieses Portfolio immer strukturierter. Für Kinder ist es natürlich schön und wichtig zu sehen, was sie alles gemacht haben, und sie blicken auch gern zurück. In der Regelschule werden diese Portfolios benotet. Wenn schon kein gebundener Unterricht stattfindet mit anschließender Probe, müssen die Noten ja anders entstehen.
    An Alternativschulen bemüht man sich, das Lernen wieder viel mehr mit dem Leben zu verknüpfen beziehungsweise diese Verbindung beim Eintritt in die Schule nicht abreißen zu lassen. Denn Leben heißt Lernen und Lernen findet eben nicht nur in der Schule statt. Während es aber an solchen alternativen Schulen erwünscht ist, dass Kinder sich frei mit Themen beschäftigen, einfach weil sie Freude daran haben und sich dafür interessieren, darüber mit anderen ins Gespräch kommen und Informationen mit in die Schule bringen, wird genau das in den Regelschulen unterbunden. Warum? Weil man sonst auf die Portfolios keine Noten geben kann, da man ja nicht weiß, ob nicht Eltern mitgeholfen haben — die das natürlich auch nach ihren Möglichkeiten tun würden, immerhin entscheidet die Note über die Zukunft ihres Kindes. Das aber dürfte ja nicht benotet werden. Gerechtigkeit muss herrschen und auch die Kinder aus sozial benachteiligten Familien sollen die gleichen Chancen haben, so lautet nun hier plötzlich das Argument, das eigenartigerweise ansonsten nie auftaucht. Also wurde uns beispielsweise in einer Fortbildung deutlich gesagt, dass die Kinder ihre Portfolios nicht mit nach Hause nehmen dürfen, bevor diese benotet wurden. Das bedeutet konkret: Die Kinder sollen — ausgestattet meist nur mit weißem Papier oder ihren Schreibblöcken, den wenigen Büchern, die der Lehrer aus eigener
Tasche finanziert zur Verfügung stellen kann, weil es keine Schulbücherei gibt, und den Materialien, die er meist selbst hergestellt hat — selbstständig während einer recht kurzen Periode in der Schulzeit an einer Thematik arbeiten und die Ergebnisse dann vorlegen. Ach, immerhin gibt es ja in den meisten Klassenzimmern jetzt ein oder zwei Computer — dumm nur, dass oft an diese kein Drucker angeschlossen ist, die Tinte wäre nämlich auf Dauer zu teuer. So wird auch hier durch den Benotungszwang eine an sich schöne Idee ad absurdum geführt.
    Nun wurde selbstverständlich versucht, adäquate Konzepte zu entwickeln, um in diesen freien Unterrichtsformen die Leistung messen zu können. Nur, die eigentliche „Leistung“ in solch modernen Unterrichtsformen liegt zum großen Teil in der Entwicklung des Kindes und nicht in abrechenbaren Ergebnissen, wie es für die an Regelschulen obligatorische Leistungsmessung nötig wäre. Das bedeutet: Solange es diesen Notenzwang gibt, sind alle Versuche, den Unterricht freier und innovativer zu gestalten, vergebliche Liebesmüh.
    Bei Proben kann sich der Lehrer schützen, da die Probe mit den Fehlern vorliegt

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