Was wir unseren Kindern in der Schule antun
Lücken in ihrem grundlegenden Wissen haben, die aufgrund des fortlaufenden abzufragenden Stoffes auch oft bis in die höheren Schuljahre nicht mehr geschlossen werden können. Auch wundert mich nicht, dass gerade in Brennpunktschulen Kinder oftmals schlechte Schulleistungen haben, wenn das Einhalten des Lehrplans wichtiger sein muss als mit den Kindern auf dem Stand zu lernen, auf dem sie gerade stehen. Mich wundert es auch nicht, dass es Schulabgänger gibt, die das schriftliche Dividieren nicht beherrschen, geschweige denn das Bruch- oder Prozentrechnen. All das ist lernbar, aber nicht, wenn Kinder ständig aus ihrem Lernprozess gerissen und auf immer neue und andere Inhalte ausgerichtet werden.
Der Zeitmangel ist tatsächlich eines der gröÃten Probleme. Wenn ich einem Kind das Wort abschneide, anstatt mich um es zu kümmern, es nicht aufrufe, obwohl ich merke, dass es eine Frage hat, einen Streit nicht schlichte, beim Suchen eines Stiftes nicht helfe, den Eltern lediglich im Mitteilungsheft notiere, dass die Hausaufgaben vergessen wurden oder ein Hefteintrag nicht vollständig ist, damit keine Beschwerden bei der Probe kommen können, dann tue ich es deshalb, weil ich in Zeitnot gerate. Wichtig sind die Inhalte, wichtig sind die Proben. Wichtig ist, dass alles Nachweisbare, alles Schriftliche stimmt.
Unterricht zwischen Resignation und Zeitnot
Manche Kinder kommen schon frustriert oder bedrückt durch häusliche Probleme in die Schule. Das könnte Schule vielfach auffangen â wenn unsere Schule anders wäre. So aber gibt es bereits in der zweiten Klasse Kinder, die sich komplett verweigern. Die einfach keine Lust mehr haben, sich weiter und weiter als Versager zu erleben. Spätestens ab diesem Zeitpunkt wird unser Schulsystem zu einem Selbstläufer: Diese Kinder bekommen ständig vor Augen geführt, dass sie nicht genügen. Sie erleben es als Niederlage, wenn sie die Hälfte der Aufgaben nicht lösen können. Und noch mehr, wenn sie dann laufend Dreier, Vierer oder noch schlechtere Noten mit nach Hause bringen, selbst wenn sie sich mit der Zeit daran gewöhnen (müssen). Diese Kinder bocken, verweigern jede Arbeit, stören, sie sind laut, sie schlagen andere Kinder, sie sind aggressiv oder aber sie sacken in sich zusammen und verbringen den ganzen Schultag in demonstrativer Verweigerungshaltung oder Resignation auf ihrem Platz. Wissenschaftliche Untersuchungen erklären dieses Verhalten: Nicht nur körperlicher Schmerz, sondern insbesondere auch soziale Ausgrenzung und Ablehnung lösen Aggressivität aus. Und Kinder erleben schlechte Noten und negative Rückmeldungen als Ablehnung und Ausgrenzung.
Schon eines dieser lauten, provozierenden Kinder, aber auf jeden Fall zwei oder drei in einer Klasse, können das ganze Zusammensein sprengen. So ungern man es zugibt, da sind oft die Stillen angenehmer, die innerlich quittiert und sich damit
abgefunden haben, scheinbar Versager zu sein. In manchen Klassen ist man nämlich nur noch mit diesen lauten Kindern beschäftigt, um irgendeine Lösung zu finden, damit man überhaupt unterrichten und Lernen gestalten kann. Spätestens jetzt hat auch der Lehrer ein Problem. Und so sehr er sich um diese Kinder kümmern möchte, so sehr sie ihm am Herzen liegen, sein oberstes Ziel wird irgendwann sein, dass Ruhe einkehrt. Ruhe, damit er seinen Stoff durchbringt, Ruhe, die seine Nerven schont. Seine Aufgabe ist es doch, zu unterrichten â die Eltern sind für die Erziehung zuständig! Meist ist das der Anfang einer regen âBrieffreundschaftâ, in der den Eltern mitgeteilt wird, was ihr Kind heute wieder alles gemacht oder nicht gemacht hat, mit der Bitte, die Eltern mögen sich darum kümmern. Häufig wird dann die Frage nach Verantwortlichkeit und Schuld zwischen Lehrern und Eltern hin und her geschoben. Dass die Eltern dem auch hilflos gegenüberstehen, und dass all die teilweise verzweifelten MaÃnahmen, die dann oft eingeleitet werden, sicher nicht dazu beitragen, dass sich das Kind von seinen Eltern geliebt fühlt und sich auch wieder für den Unterricht begeistern kann, weicht der Notwendigkeit, dass endlich wieder in Ruhe gearbeitet werden kann. Im nächsten Schritt werden dann Psychologen, der sonderpädagogische Dienst oder andere Fachleute eingeschaltet, das Kind wird eventuell stundenweise aus der Klasse genommen, vielleicht sogar ganz an eine andere
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