Was wir unseren Kindern in der Schule antun
Schule überwiesen. Was das wohl mit diesen Kindern macht? Welches Selbstbild sie entwickeln?
Als Klassenlehrer habe ich noch Möglichkeiten, dem ein Stück weit zu begegnen, kann therapeutisch wirken, kann die Klassengemeinschaft nutzen, um eine Verhaltensänderung zu bewirken, kann meine Stunden schieben, Zeit für Gespräche rausschlagen â zumindest zu einem gewissen Teil. Als Fachlehrer, der nur ein oder zwei Stunden pro Woche in der Klasse unterrichtet, vermag ich das nicht. Der Lehrplan muss erfüllt, Proben müssen geschrieben werden. Das sind Bedingungen, an denen man nicht vorbeikommt. Leise muss es sein, oder man arbeitet über den Lärm hinweg. Oder man lässt die Kinder still arbeiten, Hauptsache man hat seine Vorgaben erfüllt. An
denen wird man als Lehrer gemessen, diese werden eingefordert â von Vorgesetzten, aber auch von Eltern. Dann überlegt man sich disziplinarische MaÃnahmen: Es gibt Zusatzaufgaben oder Klassendienste, die Kinder müssen nachsitzen. Oder man resigniert und es ist einem irgendwann egal, ob alle Kinder die Hefteinträge und die Hausaufgaben gemacht haben, denn es ist organisatorisch und zeitlich nicht zu schaffen, allem hinterherzulaufen. Die Zeit drängt! Der Probentermin ist auch nach Absprache mit den anderen Fachlehrern und dem Klassenlehrer festgelegt, Proben lassen sich deshalb nur schwer nachträglich noch verschieben. Auch sollen ja maximal zwei Proben pro Woche geschrieben werden, da wird es dann schon mal eng.
Vielleicht wird jetzt verständlich, warum Lehrer manchmal gar nicht anders können, als ohne Rücksicht auf Störer oder Störungen ihren Stoff durchzunehmen, und keine Gespräche führen, die durchaus sinnvoll wären. Warum Lehrer eher wenig praktisch arbeiten, sondern vor allem zeitsparend und kontrollierbar frontal. Warum sie oft mit allen Mitteln für ein Minimum an Arbeitsruhe sorgen müssen und dennoch viel liegen bleibt, was von den Kindern daheim gelernt werden muss: Nur weil man Inhalte einmal angesprochen oder einen Hefteintrag dazu verfasst hat, haben Kinder diese ja noch nicht gelernt. Mehrfach müsste man sie wiederholen, in Zusammenhänge betten, Zeit zum Verinnerlichen, zum Verknüpfen mit vorhandenem Wissen geben â aber diese Zeit ist nicht da. Aufgrund der Rahmenbedingungen kann man sich nicht mehr dafür verantwortlich fühlen, ob jeder die Inhalte versteht, sondern nur noch gewährleisten, dass jedem die Inhalte präsentiert wurden. Für mich waren es die schrecklichsten Erlebnisse überhaupt, dass auch ich mich in manchen Situationen genötigt sah, nur noch den Stoff durchzupressen, Teile davon als Hausaufgabe zum Lesen aufzugeben, damit die fälligen Proben geschrieben werden konnten. Wissend, dass die Kinder die Inhalte so gar nicht aufnehmen können. Wissend, dass es ihnen auf diese Art keinen Spaà machen kann. Wissend, dass ich im Prinzip jedes Kind mit seinen individuellen Bedürfnissen übergehen muss. Wissend auch, dass meist nur jene Schüler, deren Eltern daheim
mit ihnen lernen oder sie zumindest zum Ãben anhalten, den Stoff bei der nächsten Probe beherrschen und die besseren Noten erhalten. Wissend, dass anhand dieser Noten am Ende das Leistungsvermögen eines Kindes beurteilt und eine Aussage über das Kind gemacht wird. Wissend, dass diese Aussage nicht den Fähigkeiten des Kindes entspricht. Wissend, dass ich so bei den Kindern die Freude am Lernen zerstöre.
Dabei wäre es an sich kein Problem, allen Kindern die schulischen Inhalte nahezubringen, wenn ich mir die Zeit frei einteilen und meine Methoden frei wählen könnte. Wenn die Zeitfenster, in denen ein bestimmter Inhalt vermittelt werden muss, nicht durch die zahlreichen Proben so klein gehalten werden würden. Und wenn man nicht aufgrund der Eile immer wieder Kinder auf dem Weg verlieren würde. In den höheren Klassen müsste ich erst einmal den Boden bereiten, dass diese Kinder, die sich teilweise schon jahrelang anhören mussten, sie seien unfähig oder faul, die lange nur für Proben und nicht aus eigenem Interesse gelernt haben, überhaupt wieder Lust bekommen. Es gibt so viele Kinder, die vor lauter âLernenmüssenâ schon vergessen haben, dass sie âlernen wollenâ . Aber das geht nur mithilfe von Zeit, über eine persönliche Beziehung und dadurch, dass ich Dinge ermögliche, die für Kinder
Weitere Kostenlose Bücher