Was wir unseren Kindern in der Schule antun
Erleben eines Inhaltes weicht so der Besprechung des Inhaltes. Im Fach Musik ist also beispielsweise nicht das Hören wichtig, das Fühlen, das Empfinden, das gemeinsame Musizieren â wichtig sind Jahreszahlen, Fakten, Begriffe und schlieÃlich auch, dass jeder einzeln vorsingt oder vorspielt, ob er mag oder nicht. Es geht auch nur am Rande darum, grundlegende und auch praktisch anwendbare Erfahrungen mit Magnetismus oder Strom zu machen, entscheidend sind die korrekten technischen Zeichen, Bezeichnungen und Formeln. Nicht, dass im Lehrplan das Erleben nicht gewünscht wäre â aber für beides, also für Probenvorbereitung und für das Erleben, ist einfach keine Zeit. Fatal ist das insbesondere auch beim Sachrechnen, also wenn Kinder beispielsweise mit Gewichten, Längen oder Volumeneinheiten rechnen. Ihnen fehlt jegliche Erfahrung mit diesen GröÃen, sie müssten mehrfach mit tatsächlichen Gewichten hantiert, mit Längen über Zentimeter und Millimeter hinaus real gemessen haben. Stattdessen werden oft nur die Bezeichnungen und Begriffe durchgenommen und mit diesen
GröÃen gerechnet â das ist gut abprüfbar â aber den Kindern fehlt jede Vorstellung und damit die Fähigkeit zur praktischen Anwendung.
Auch bei nicht schriftlichen Noten läuft es ähnlich: Welcher Aufwand wird betrieben, um beispielsweise die Benotung eines Referates abzusichern. Alles, was daheim erledigt wurde, darf an sich nicht benotet werden, insofern zählt hauptsächlich die Präsentation. Um möglichen Fragen der Eltern nach der Bewertung des Referates standhalten zu können, stellt man einen Kriterienkatalog auf, der den Eindruck einer möglichst umfassenden Sicht erzeugt, objektiv wirkt und festlegt, welche Kriterien für welche Note erfüllt werden müssen: Wie oft hat sich der Schüler bei seinem Vortrag versprochen, wie oft hat er abgelesen, wo verlief das Erzählen und das Erläutern am Anschauungsmaterial nicht synchron?
Das Erlebnis, ein Referat vor der Klasse zu halten, sollte an sich insbesondere emotional eine positive Erfahrung sein, um dem Kind Mut zu machen und sein Selbstbewusstsein zu stärken, weiterhin vor einer groÃen Gruppe zu sprechen. Aber dieser grundlegende Anspruch weicht auch bei den Achtjährigen schon der Notwendigkeit, eine Note über mehr oder weniger stichhaltige Vorgaben zu erhalten. Noten, die sich ebenfalls auf alle Notenstufen verteilen, weil auch hier ein Schüler, dessen Leistungen den Anforderungen entsprechen, die Note âVierâ erhält. Kein Wunder, dass manche Kinder bereits mit Powerpoint-Präsentationen, aufwendig gestalteten Anschauungsmaterialien, Folien und Bildern aufwarten und die gesprochenen Texte dazu natürlich auswendig beherrschen.
Auch das passiert zu Hause â denn innerhalb des Unterrichts gibt es für die Schüler in der Regel keine Möglichkeit, den Vortrag eines Referates vorzubereiten und in der Klasse zu üben â dafür ist zu wenig Zeit. Selbst ein Zehnminutenreferat benötigt mit dem Herrichten und Wegräumen der Materialien sowie einer sinnvollen, ausführlichen Rückmeldung gut eine Schulstunde, insbesondere, wenn auch die anderen Kinder zu Wort kommen sollen. Wollte man jedem wenigstens eine Ãbungsmöglichkeit und ein Referat mit der nötigen Vor- und
Nachbereitung zugestehen, wären dafür also in einer Klasse von fünfundzwanzig Kindern etwa fünfzig Schulstunden nötig. Selbst bei den Kriterien also, die besonders darauf abzielen, dass Kinder etwas allein ohne Hilfe des Elternhauses präsentieren, spielt dieses bei der Beurteilung erneut eine groÃe Rolle. Denn von ihrem häuslichen Hintergrund hängt ab, ob die Kinder für solche Präsentationen dort üben können, ob sie von Eltern und Geschwistern Tipps und Hilfe dazu bekommen.
Gleichmacherei statt Raum für Individualität
Um sich gegen mögliche Beschwerden der Eltern abzusichern, werden in vielen Schulen die gleichen Probearbeiten in den Jahrgangsklassen nun parallel geschrieben. Das mag auf den ersten Blick sinnvoll erscheinen, bringt aber viele Nachteile: Die Lehrer geraten noch mehr in Zeitnot, denn die Proben müssen alle am gleichen Tag und zur gleichen Uhrzeit geschrieben werden. Sich nach den Bedürfnissen der Klasse zu richten, ist kaum mehr möglich. Rollenspiele über Pausenstreitereien, Gespräche für einen gerade neu
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