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Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Titel: Was wir unseren Kindern in der Schule antun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sanbine Czerny
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und er zudem Korrekturfahne und Notenschlüssel aufzeigen kann. Bei der Bewertung in freien Arbeitsformen kann er das nicht, alles was versucht, die Entwicklungsleistungen eines Kindes zu objektivieren, ist angreifbar. Man kann sich sicher gut vorstellen, wie erfreulich und vertrauensvoll Elterngespräche dann ablaufen, wenn es um Noten und Selektion geht. Und wenn doch wieder das Ergebnis zählt, stellen Eltern zu Recht die Frage, warum man als Lehrer ihrem Kind nicht geholfen hätte, dafür sei man schließlich da. Und tatsächlich ist auch das ein Problem: Welches Kind bekommt wie viel Hilfe in der wenigen Zeit, die zur Verfügung steht? Bei jedem Kind weiß man, was es bräuchte, aber wenn man die Zeit Georg widmet, kann Sarah ihre Frage nicht stellen, also hat entweder Georg bessere Ergebnisse oder Sarah, je nachdem, für wen man sich entscheidet. Gerechterweise müssten die Kinder dann wirklich ganz alleingelassen arbeiten, dann könnte man den Eltern wenigstens unangreifbar sagen: Alle hatten die gleichen Bedingungen.
    Es zählen Formalitäten, nicht die Inhalte
    Noch fataler ist aber eine andere Wirkung, die unsere Leistungsmessung hat. Aufgrund der existenziellen Auswirkungen suchen Eltern in jeder Probe nach Punkten, die ihr Kind doch noch bekommen könnte. Manche kommen gar in letzter Not mit dem Rechtsanwalt, sodass vor Gericht dann über die Formulierung einer Frage innerhalb der Probe gestritten wird. So geschehen zum Beispiel im Fall einer Lehrerin, die in der Probe fragte, woher die Gemeinde ihr Geld bekäme — eine Formulierung, die Kinder aus dem Unterrichtsgeschehen heraus durchaus verstehen. Die Eltern klagten, dass das Wort „woher” einen örtlichen Bezug abfragt, aber keinen funktionalen. Ein halber Punkt in einer Probe kann aber rein theoretisch letztendlich über den Übertritt an eine weiterführende Schule entscheiden. Ein ganz wichtiger Aspekt beim Erstellen einer Probe ist daher, dass sie juristisch nicht angreifbar ist. Auf Fragestellungen, die keine eindeutig richtige oder falsche Antwort erlauben, verzichtet man daher lieber. Fragen, die frei beantwortet werden können, sind ebenfalls gefährlich: Welche Antwort wird wie gewertet, wofür gibt es noch einen halben Punkt, wofür nicht?
    Um Diskussionen mit den Eltern zu vermeiden, versucht man die Bewertung möglichst eindeutig und unangreifbar zu gestalten. Oft führt das dann dazu, dass es eben nicht wichtig ist, ob ein Kind Inhalte verstanden hat, sondern ob es auch genau die Worte und Begriffe gewählt hat, die im Hefteintrag oder im Unterricht verwendet wurden. Andere Formulierungen gelten dann schon nicht mehr oder sie werden nur mit einem Teil der Gesamtpunktzahl abgegolten. Vielen interessanten und schönen Themen wird damit ihr eigentlicher Gehalt genommen. In der Korrekturfahne einer schriftlichen Probe legt der Lehrer eindeutig fest, welche Antwort wie viele Punkte ergibt. Ebenso wie er mit dem Notenschlüssel festlegt, für welche Punktzahl welche Note gegeben wird. Beides geschieht manchmal auch erst im Nachhinein, das ändert aber nichts an der absichernden und schützenden Wirkung. Die Notengebung ist an sich inzwischen fast ein rein bürokratischer Akt. Zunehmend wird die Arbeit mit den Kindern daher unter dem juristischen und nicht
mehr dem pädagogischen Blickwinkel betrachtet, da die Auseinandersetzungen mit Eltern für Lehrer sehr belastend und oft kaum mehr auszuhalten sind.
    Als Lehrer fühlt man sich da oft wie in einem Dreifrontenkrieg: Hier der Anspruch der Behörden auf Selektion, dort der Anspruch der Eltern auf eine bestmögliche Schulkarriere ihres Kindes und da der Anspruch der Kinder auf Lernen und Freude daran. Vor allem Letzterem kann der Lehrer unter diesen Umständen eigentlich nicht mehr gerecht werden.
    Aufgrund der stets lauernden Gefahr von Vorwürfen ändert sich auch der Unterricht. Viele Dinge, die kein greifbares Ergebnis hervorbringen, werden einfach nicht durchgeführt. Freie Arbeitsformen, in denen gerade Sozial- und Selbstkompetenz erworben werden könnten, fallen dem vielfach zum Opfer. Eltern beschweren sich auch gerne, dass die Zeit mit so „unwichtigen Dingen“ verplempert wurde, anstatt konzentriert auf die Probe vorzubereiten. Wichtig ist, was hinterher zweifelsfrei abgeprüft werden kann, und wichtig ist, alles so nachweisbar und objektiv wie möglich zu gestalten.
    Das

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