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Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Titel: Was wir unseren Kindern in der Schule antun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sanbine Czerny
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dass dieser aber eine ganze Schulstunde dauert, mit Begrüßen, viel Singen und Musizieren, Besprechen organisatorischer Angelegenheiten, Gesprächen, Klärung von Schwierigkeiten, Zuhören, aufeinander Bezug nehmen … das wurde mir untersagt. So viel Zeit dürfe ich nicht mit so etwas verplempern, in der Stundentafel stände ja Mathematik und ich müsse mit den Kollegen gleichauf sein.
    Wie in unserem Schulsystem Kinder entsprechend ihrer Herkunft sozial diskriminiert werden
    Die Hauptgründe, warum gerade Kinder aus sozial schlechter gestellten Familien und Kinder mit Migrationshintergrund benachteiligt sind, lassen sich relativ einfach darstellen. Das Hauptproblem bei der sozialen Diskriminierung liegt nicht so sehr im Lernen an sich, sondern darin, dass alle Kinder zum gleichen Zeitpunkt das Gleiche können müssten. An diesem Anspruch orientiert sich die Beurteilung, die Notengebung und damit auch die weitere schulische Laufbahn. Hier sind die genannten Gruppen einfach benachteiligt. Dabei sind sie weder dümmer noch weniger begabt oder fauler als die anderen Kinder, sie stehen einfach an einem anderen Punkt ihrer Entwicklung, weil sie vielleicht noch nicht so viele Erfahrungen sammeln konnten, und oft noch weniger schulisch sozialisiert sind.

    In eine ähnliche Richtung gehen auch die Gründe, die nach meiner Erfahrung verantwortlich dafür sind, dass oft auch Jungen, zeitiger eingeschulte Kinder, Frühchen (also zu früh Geborene) oder teilweise auch erstgeborene Kinder Nachteile haben, auch wenn hier noch weitere Aspekte dazukommen. Jungen bräuchten beispielsweise zudem einen Unterricht, der ihnen mehr Bewegung ermöglicht. Außerdem geht es Jungen beim inhaltlichen Arbeiten mehr um grundlegende Prinzipien, sie arbeiten tendenziell in gröberen Strukturen und nicht so detailgetreu wie Mädchen. Zeitiger eingeschulte Kinder und Frühchen haben meist Entwicklungsrückstände, Erstgeborenen fehlt der Vorteil, schulisches Lernen und insbesondere Probeaufgaben bei den älteren Geschwistern schon miterleben und davon profitieren zu können.
    Kinder kommen mit Entwicklungsunterschieden von etwa zwei bis drei Jahren in die Schule, obgleich sie in etwa das gleiche Alter haben. Diese Entwicklungsunterschiede sollte man sich genauer anschauen: Wenn ich als Lehrerin vor meiner ersten Klasse stehe, fällt mir auf, dass durchaus jedes Kind in verschiedenen Bereichen noch entwicklungsbedürftig ist, das eine im motorischen, das andere im sprachlichen, das nächste im sozialen. Die Entwicklungsunterschiede sind vielfältig. Manche dieser Unterschiede würden sich ausgleichen lassen, indem man ein Kind einfach später einschult. Zu oft jedoch lassen sich Eltern und Lehrer darüber hinwegtäuschen, dass das Kind innerlich noch nicht reif für die Schule ist, weil es vielleicht schon ein wenig rechnen oder gar lesen kann. Viele Entwicklungsunterschiede lösen sich aber erst mit der Zeit auf — mit der Zeit und durch beständige Begleitung, teilweise über Jahre hinweg.
    Entwicklungsunterschiede zeigen sich auch in Erfahrungsunterschieden. Ayshe kann sich zum Beispiel im Deutschen schon sehr gut ausdrücken, aber es wird noch dauern, bis sie die Feinheiten der Grammatik erfasst hat. Das lässt sich auch nicht wirklich „schulisch“ lernen. Sie wird in Deutschland aufwachsen und viel Deutsch sprechen, bis sie zunehmend und oft eher unbewusst die grammatikalischen Strukturen verinnerlicht hat. Paul hält den Stift noch sehr verkrampft, ihm könnte
weniger Anspannung bei der Bearbeitung der Aufgaben helfen: Würde man hin und wieder ein paar spezielle Übungen mit ihm durchführen, würde sich das Angespannte mit der Zeit von allein geben. Maike hat einen Schritt übersprungen, sie kann lesen und schreiben. Aber wie? Bei ihr sollte man Wert legen auf den korrekten Bewegungsablauf beim Erlernen der Schreibschrift. Für diesen Prozess bräuchte sie dann wahrscheinlich doppelt so viel Zeit wie die anderen Kinder beim Schreibenlernen. Josef wirkt völlig eingeschüchtert, später erfahre ich, dass er einen sehr dominanten Vater hat, der sowohl ihn als auch seine Frau regelmäßig anbrüllt, wenn er von seinen LKW-Touren nach Hause kommt. Ruhe hat zu herrschen, und so sitzt Josef oft vor dem Fernseher, niemand beschäftigt sich mit ihm. Josef braucht ein zuverlässiges, gutes Miteinander, um Vertrauen zu

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