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Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Titel: Was wir unseren Kindern in der Schule antun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sanbine Czerny
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Lernvorgängen begleitet zu werden. Ein Lernen in Gruppen, selbst in Kleingruppen ist hier keine adäquate Alternative, hier muss Schule umgestaltet werden. Das kann geschehen, indem freieres Arbeiten möglich wird, mehrere Lehrer in einer Klasse gemeinsam unterrichten oder eine andere außerschulische Betreuung ermöglicht wird, in welcher Form auch immer. Erst mit Beginn der Pubertät bewegen sich Kinder zunehmend selbstständig, gleichwohl sind auch ältere Schüler dankbar für individuelle Betreuung, wenn sie diese benötigen.
    In der gesamten Situation, in der Schule heute stattfindet, geschieht auch noch etwas anderes: Die individuelle Persönlichkeit des Lehrers bekommt keinen Raum, das, was ihn als Mensch besonders macht. Genau das aber ist bedeutsam für die Beziehung, die er zu den Kindern in seiner Klasse aufbaut, und schlussendlich ausschlaggebend für den Lernerfolg der Kinder. Seine individuelle Art zu unterrichten, seine Liebe zur Musik, zur Kunst, zur Mathematik — alles weicht der Vorgabe, einen Stoff in einer bestimmten Stunde zu behandeln. In Japan wurde vor kurzem ein Roboter als Lehrerin eingesetzt — wäre das nicht die Lösung? Immer mehr wird der Lehrer zu einem
Ausführenden, zu jemandem, der ersetzt werden kann. Wenn ein Lehrer erkrankt — so die Erklärung der Vorgesetzten für die Anweisung, auf die beschriebene Art „zusammenzuarbeiten” — können die Kinder problemlos aufgeteilt werden und in den Parallelklassen mitlernen, da ja alle den gleichen Stand und die gleichen Materialien haben und weiterhin die Proben gemeinsam schreiben — das ist wichtig! Das Ganze wird mit dem Wort „Teamen“ überschrieben und erhält damit eine sehr positive Bewertung, die es nicht verdient hat. Teamen bedeutet hier in erster Linie Gleichmacherei, zum Schutz vor Eltern, die nicht tatenlos zusehen wollen, wie ihr Kind aussortiert wird. Teamen heißt hier, aus diesem Grund die gleichen Materialien zu erstellen, sich auf gleiche Inhalte und Formulierungen festzulegen — anstatt gewinnbringend die Vielfalt der unterschiedlichen Lehrercharaktere zu nutzen, um über Schüler, Methoden und Ideen zu sprechen, sich einzufühlen und individuelle Lösungen zu finden. Leider fordern auch immer mehr Eltern diese Gleichmacherei! Letztens wollte ein Vater sogar, dass die Vergabe von Smileys unter Hefteinträgen, die nun wirklich keine weitere Bedeutung haben, an der ganzen Schule einheitlich geregelt ist. Dabei ist das für den Lehrer eine der wenigen verbleibenden Möglichkeiten, individuell bezogene Rückmeldungen zu geben. Wenn wir uns nur noch nach Kriterien richten, geht uns der Mensch verloren.
    Nicht bedacht ist auch, wie viel Zeit die Absprachen zwischen den Lehrern kosten. Je genauer man sich bespricht, umso länger dauern die Treffen — allein aus diesem Grund werden oft einfach nur Arbeitsblätter ausgetauscht und schnell Kompromisse eingegangen. Wenn man sich als Lehrer hier nicht eingliedert, erhält man schnell das Prädikat, teamunfähig oder unkollegial zu sein. Der Druck durch Vorgesetzte und Behörden ist enorm, auch der zwischenmenschliche Druck unter den Kollegen. Was die einzelnen Kinder bräuchten, muss dadurch nebensächlich werden. Man hat als Lehrer nicht mehr die Freiheit, den Unterricht auf die Klasse zuzuschneiden, deren Kinder man individuell betreuen möchte. Ich leite inzwischen zum fünften Mal eine erste und zweite Klasse als Klassenlehrerin
und kann nur betonen, dass der Unterricht nie der Gleiche ist. Jede Klasse ist anders, jede Klasse braucht etwas anderes. Sicher, manche Arbeitsblätter benutze ich in einer neuen ersten Klasse zwei Jahre später vielleicht wieder. Aber vieles erstelle ich komplett neu. Und selbst wenn ich mal gleiche Arbeitsblätter wieder verwende, ist der begleitende Unterricht oft völlig anders. Die Arbeit mit Kindern einer Klasse ist eine sehr feine Arbeit, bei der scheinbare Kleinigkeiten oft maßgeblich für den Lernerfolg sind. Selbst vieles, was ich bereits für meine Klasse vorbereitet habe, gestalte ich noch am Tag vor dieser Einheit um, oder sogar noch spontan in der Stunde selbst, weil es in diesem Moment einfach doch nicht das Richtige ist. Als Lehrer spürt man, was für die Kinder gerade möglich ist, was sie gerade aufnehmen können, was eine Über-, was eine Unterforderung darstellt, welche

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