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Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Titel: Was wir unseren Kindern in der Schule antun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sanbine Czerny
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ihnen erzielten Ergebnisse in Bezug zu einer außenstehenden Norm oder anderen Menschen zu setzen, ohne eine Bewertung auf sich als ganzer Mensch zu beziehen. Eine Rückmeldung an ein Kind hat nur dann einen förderlichen Sinn, wenn sie an der Wahrnehmung des Kindes anknüpft, die in diesem Alter eben nur auf sich selbst gerichtet ist.
    Es gibt einen bedeutenden Unterschied zwischen der eigenen Wahrnehmung von Kindern, die als momentan und situativ erlebt wird, und den Urteilen von außen. Diese Urteile nämlich vermitteln einem Kind eine allumfassende Objektivität und ein „So ist es — so bist du“. Wenn Kinder um die Wette laufen, jubelt der Schnellere, vielleicht fragt der Langsamere nach einer Revanche, aber dann ist es auch schon wieder gut — es ist einfach so. Wer welche Stärken hat, zeigt sich aus der Situation selbst heraus, ohne Bewertung durch einen anderen und ohne weitere Konsequenzen. „Maja rechnet bei uns am schnellsten”, sagen die Kinder, „und Fabian liest schon ganz toll.“ Kinder können das ohne Neid anerkennen — so lange diese Aussage von ihnen
kommt und sie das Gefühl haben, selbst auch so okay zu sein, wie sie sind. Solange sie durch diese Einschätzungen eben nicht abgewertet werden. Durch die Noten und sogar schon durch Aufgaben, die Unterschiede zwischen den Kindern bewusst verdeutlichen, passiert aber genau das. Die dabei gefällten „Urteile“ werden als wesentlich allumfassender, die ganze Person betreffend erlebt, als festgeschrieben, nahezu unabänderlich.
    Selbst Jugendlichen und Erwachsenen fällt es noch schwer, sich von einem negativen Urteil zu distanzieren. Bei sich wiederholenden negativen Urteilen brauchen auch wir Großen ein besonders dickes Fell. Dabei haben Erwachsene ja deutlich andere Möglichkeiten: Arbeitnehmer können den Job wechseln — Schüler können der Schule nicht entfliehen.
    Ã„ltere Schüler versuchen sich bei schlechten Noten gegebenenfalls in Begründungen zu retten oder die Beschämung zu überspielen mit Aussagen wie: „Ich habe dafür nicht gelernt.” Oder: „Das interessiert mich einfach nicht.” Vielleicht auch: „Ich hatte einfach einen schlechten Tag.” Oder: „Der Prüfer war unfair.” Sie versuchen dem Urteil zu entkommen, das jedoch auch sie in der Regel sehr niederschmettert. Die jüngeren Schüler jedoch akzeptieren jede gegebene Note, sie würden nie infrage stellen, dass etwas an der Benotung oder der Probe selbst nicht stimmt, sondern sie beziehen das Ergebnis auf sich: Sie selbst sind ungenügend.
    Kleine Kinder beziehen die Note sicher auch deshalb vollständig auf ihre gesamte Person, weil sie noch gar nicht so bewusst lernen und sich noch nicht selbstständig anhand von Büchern und Hefteinträgen auf Prüfungen vorbereiten können. Sie schreiben bei einer Probe also das auf, was sie in sich tragen. Vielem liegt hier ein Entwicklungsprozess zugrunde und selbst das Aufpassen und die Aufmerksamkeit in der Schule können sie nur sehr bedingt selbst steuern. Sie bekommen ein Urteil über sich, das eigentlich durch die Umstände bedingt ist, die sie in diesem Alter noch gar nicht beeinflussen oder gar ändern können. Diese Umstände müssten Eltern und Lehrer verändern, anstatt zu urteilen und das Kind dafür abzustrafen. Der Lernerfolg eines jüngeren Kindes hängt sehr davon ab, ob es
Menschen gibt, die etwas gemeinsam mit ihm tun, die an es glauben und es unterstützen, die sein Leben so gestalten, dass vielfältige Erfahrungen möglich sind, die mit ihm die Inhalte vertiefen oder die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, dass diese gut im Gedächtnis bleiben können — aber das ist Kindern nicht bewusst. Sie beziehen alles auf sich.
    In den dritten und vierten Klassen gibt es dann schon zunehmend diese Kinder, die sich nicht mehr intensiver mit Inhalten beschäftigen, die Hausaufgaben zur Übung nicht fertigen, daheim die Unterrichtsthemen nicht wiederholen, üben oder Hefteinträge lernen — ganz bewusst. Einzig um hinterher sagen zu können: „Die schlechte Note liegt daran, dass ich nicht gelernt habe.“ So haben sie einen Grund, der vor ihrer Person steht. Ansonsten müssten sie für sich akzeptieren, dass sie unfähig sind — wenn alles Lernen, alle Hilfe nichts nützt und sie erneut Vierer oder Fünfer

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