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Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Titel: Was wir unseren Kindern in der Schule antun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sanbine Czerny
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Abschluss der Schule auf dem Papier eine hohe Qualifikation, bleiben aber trotzdem unfähig, unflexibel und ungebildet. Dabei kostet das Büffeln für die Prüfungen extrem viel Zeit. In der Schule werden Stoff und Inhalte präsentiert, daheim werden stundenlang Hausaufgaben erledigt und dann wird noch gelernt. Dass das in drei verschiedenen Gleisen beziehungsweise Schularten stattfindet, ändert nichts an der Tatsache, dass innerhalb dieser alle Kinder das Gleiche lernen müssen und alle zur gleichen Zeit die gleichen Inhalte verstanden haben sollen. Von Individualität keine Spur. Per se gibt es in jeder Klasse etwa fünf besonders Begabte, die fünf Kinder, die die Note „Eins” vorweisen können. Eine besondere Förderung gibt es jedoch nicht. Diese Kinder können eine Klasse überspringen, oder sogar auch zwei — aber ist das individuelle Förderung, wenn sie dann eben im Gleichschritt mit zwei Jahre älteren Kindern (und damit häufig in der völlig falschen Sozialisationsgruppe) mitmarschieren dürfen?
    Besondere Begabungen werden im derzeitigen Schulsystem ja oft nicht einmal erkannt, weil der Freiraum fehlt, dass diese sich offenbaren können. Ganz im Gegenteil haben Kinder, die in einem Bereich besonders interessiert und talentiert sind, sogar im entsprechenden Fach teilweise schlechte Noten, weil sie sich dem Gleichklang widersetzen, im Unterricht gedanklich eigene Wege gehen oder ihre Zeit privat für ihre eigentlichen Interessen statt zum Pauken nutzen. So beispielsweise Janna, der ich im Aufsatz eine Fünf geben musste, weil sie die geforderten Kriterien nicht erfüllte. Sie liebte das Schreiben und schrieb wunderbare Geschichten. In ihrer Geschichte verwob
sie gut fünf Handlungsstränge ineinander. Und Janna begann mit einem stilistischen Paukenschlag direkt in der Handlung. Da sie nur eine Stunde Zeit zum Schreiben hatte, wurde sie nicht fertig, die Geschichte war mittendrin abgebrochen, der Schluss fehlte. Die Kriterien, die die Aufsätze der Kinder erfüllen mussten, waren aber: eine Einleitung zu formulieren, langsam die Geschichte zu einem Höhepunkt hin aufzubauen, nur einen Handlungsstrang zu verfolgen sowie einen Schluss zu formulieren, der die Geschichte abrundet. Die geforderten zahlreichen Eigenschaftswörter hat Janna ebenso selten eingebaut wie die vorgeschriebene wörtliche Rede. Damit erhielt sie in nahezu allen Beurteilungskriterien keine Punkte — obgleich sie wirklich eine an sich wunderbare und für ihr Alter bereits hochliterarische Geschichte geschrieben hatte. Janna war da gerade neun Jahre alt. Ich konnte ihr nur noch unter ihren Text schreiben, wie sehr ich ihr wünsche, dass sie sich ihr Schreibtalent bis nach der Schule erhält und eine erfolgreiche Schriftstellerin wird — ehrlich gesagt, wage ich aber zu bezweifeln, dass die Freude am Schreiben bleibt, wenn Janna sich für gute Noten ständig verbiegen muss. Wie wertvoll wäre es für diese Schülerin gewesen, individuelle und subjektive Rückmeldungen zu erhalten, sodass sie sich und ihr Schreibtalent hätte weiterentwickeln können?
    Und selbst wenn ich im Schulalltag besondere Talente bemerke, habe ich als Lehrer oft gar nicht die Möglichkeit, diese zu fördern. Ich erinnere mich an ein kroatisches Mädchen, das nach dem gemeinsamen Besuch der ″Zauberflöte″ die Arie der Königin der Nacht in einer bezaubernden Klarheit und Schönheit beständig vor sich hin sang. Sie stammte aus einem sozial benachteiligten Elternhaus, dort hatte man nicht einmal das Geld, die Busfahrkarte für die Fahrt zum Kirchenchor zu zahlen. Die Schulen sind aufgrund der Strukturen aber nicht so frei, dass sie für dieses Mädchen und für viele andere Kinder mit vielfältigen Interessen individuelle Möglichkeiten und Lösungen finden können. Das Mädchen besucht derzeit die Hauptschule, ihr Talent verkümmert.
    Wir haben ein völlig falsches Verständnis von individueller
Förderung. Wirkliche individuelle Förderung heißt für mich zweierlei: Zum einen brauchen Kinder individuelle Unterstützung, um eine grundlegende, fundierte Bildung zu erreichen. Darüber hinaus benötigen alle Kinder aber auch Zeit, Raum, Möglichkeit und Unterstützung, um ihren eigenen Interessen nachgehen zu können.
    In unseren Schulen bedeutet „individuelle Förderung″ — im Sinne

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