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Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Titel: Was wir unseren Kindern in der Schule antun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sanbine Czerny
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„leistungsfähig“ zählen nur die Noten in drei Fächern. Das Kind an sich, wer es ist, wie es ist, seine Träume, seine Hoffnungen, seine Wünsche, sein Potenzial, sein Wollen, seine Liebe, seine Fähigkeit, andere zu sehen und wahrzunehmen, sein Klang, seine Einzigartigkeit — all das ist unwichtig dafür, wie es mit dem Kind weitergeht, und wird dementsprechend auch immer mehr in den Hintergrund rücken.
    Kinder, die ständig genötigt werden, die Kriterien anderer Menschen zu erfüllen, werden nur schwer eine Ich-Kompetenz entwickeln. Eine eigene Meinung bilden kann sich nur jemand, der für sich selbst eine Sicherheit gewonnen hat. Der den Mut hat, diese auf sich selbst auszurichten und nicht auf jemand anderen. Das „Ich“ entwickelt sich am „Nein!” — und nicht an der Anpassung. Wer aber nur dann Chancen hat und nur dann vorankommt, wenn er sich in Schemen pressen lässt oder vorgegebenen Kriterien genügt, wird diese wichtige Fähigkeit nur schwer erwerben.
    Es wäre für Kinder ganz entscheidend, dass wir nicht in erster Linie auf die Ergebnisse achten, die sie hervorbringen, sondern darauf, ob sie in einer guten Entwicklung sind. Dadurch, dass wir sie ständig zu einem Output zwingen, stören wir diese Entwicklung, dieses Wachstum, insbesondere, weil wir auf die Plateauphasen keine Rücksicht nehmen, jene Phasen, in denen äußerlich keine Entwicklung sichtbar ist, in denen aber häufig Entscheidendes im Kind passiert und denen meist ein Entwicklungssprung folgt. Dazu gehört auch, dass Kinder beschützt Fehler machen und Fehlentscheidungen treffen dürfen, um aus abgesicherten Konsequenzen lernen zu können. Der Vergleich mit anderen würde im Erwachsenenalter noch völlig genügen.

    Alle Kinder erleben durch die Selektion, dass sie eben nicht so, wie sie sind, angenommen, akzeptiert und wertvoll sind und gerade durch ihre Individualität, ihren Eigensinn und ihre Eigenheiten einen bereichernden Beitrag zur Gesellschaft leisten. Mit Selektion ist dabei nicht nur die Verteilung auf die diversen Schulformen gemeint, sondern auch die Verteilung auf die verschiedenen Notenstufen. Und dadurch entsteht Angst: Angst vor Aussonderung, Angst, so, wie man ist, nicht recht zu sein, Angst, als der Mensch, der man ist, nicht genügen zu können. Damit ist allen (!) Kindern der wichtigste Boden genommen — das Urvertrauen jedes Kindes, so, wie es ist, wunderbar zu sein. Kein einziger positiv anmutender Aspekt der Selektion kann diesen Schaden jemals wieder gutmachen oder aufwiegen.
    Selektion als individuelle Förderung?
    Ein weiterer Punkt ist von großer Bedeutung. Dieser Aspekt wird in Diskussionen um die Bildungspolitik häufig eingebracht, jedoch völlig unzureichend beleuchtet: Gerade die Befürworter des mehrgliedrigen Schulsystems meinen, durch die Selektion würden Kinder individuell gefördert. Genau das Gegenteil ist der Fall. Auf den ersten Blick mag es so wirken, dass drei oder gar fünf Schubladen der Verschiedenheit von Kindern besser gerecht werden als eine einzige gemeinsame. Nur, dass diese gemeinsame Schule keine Schublade wäre, sondern eine große Wiese.
    Wie sieht es in der Praxis aus? Die Mehrgliedrigkeit benötigt eine ständige Leistungsmessung, die einen vorgegebenen Maßstab zu einer bestimmten Zeit notwendig macht. Nur auf dieser Grundlage können Noten oder Urteile gegeben werden, nur auf dieser Grundlage kann selektiert werden. Damit verlagert sich der Schwerpunkt: Statt des Lernens und Bereicherns wird entscheidend, welches Ergebnis in den Leistungsmessungen erzielt wird. Leistungsmessungen, die meiner Meinung nach einen oft recht fragwürdigen Leistungsbegriff zugrunde legen. Es mag sein, dass es vor Jahrzehnten, als Wissen und Fakten nicht einfach mit einem Mausklick übers Internet abrufbar
waren, eine wahre Leistung war, vieles davon auswendig zu wissen. Heute ist es einfach unnötig. Heute wären andere Dinge wichtig. Aber unsere Kinder lernen hauptsächlich auswendig oder eignen sich kurzfristig Fähigkeiten an für die nächste Probe, um sie danach gleich wieder abzulegen, da sie sie nicht integrieren können. In Fachkreisen nennt man das „Bulimie-Lernen“: Alles reinstopfen, um es später auszukotzen, ohne dass es einen nährenden Effekt hätte, ohne dass etwas davon verdaut wird.
    Viele unserer Kinder haben nach

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