Was wir unseren Kindern in der Schule antun
Begeisterung nicht ausreichen, um diese Sprache wirklich gut zu lernen, sie schlieÃlich zu beherrschen. Sicher wird dieser Mensch traurig darüber sein, sich von einem Traum verabschieden zu müssen. Er wird jedoch sachlich feststellen: âChinesisch ist wohl doch nichts für mich.â Oder auch: âMir fehlt die Zeit, das so gut zu lernen, wie ich es mir gewünscht hätte, und ich habe auch zu viele andere Interessen und Hobbys, die mir wichtiger sind.â Wenn dieser Mensch jedoch nur ein geringes Selbstgefühl hat, wird er drastisch resümieren: âIch bin zu gar nichts gut!â Nicht nur seine sprachlichen Fähigkeiten sind dann in seinen Augen begrenzt. Sondern er erlebt sich insgesamt als Versager.
Kurz: Mit einem intakten Selbstgefühl stellt dieser Mensch fest, dass es eben einzelne Bereiche gibt, in denen er nicht so talentiert ist. Mit einem geringen Selbstgefühl ist dieser Mensch überzeugt davon, dass er ein absoluter Versager ist, dass dieses nicht vorhandene Talent nur ein weiterer Beweis dafür ist, wie schlecht, dumm und unbrauchbar er als Mensch insgesamt ist. Mit dieser Sicht auf sich selbst ist es natürlich auch ausgesprochen schwierig, überhaupt etwas zu lernen.
Oft versucht man jedoch, sehr nachdrücklich das Selbstbewusstsein von Kindern zu stärken, dabei ist ihr tatsächliches Problem ein ungenügendes Selbstgefühl. Dies ist laut Juul an typischen Eigenschaften zu erkennen: âEin geringes Selbstgefühl manifestiert sich auf vielfältige Weise: in Leistungsangst, Prahlerei, Lebensangst, Selbstlosigkeit, Grenzenlosigkeit, Unterordnung, Aufgeblasenheit, Schuldgefühl, als Drogen-, Medikamenten oder AlkoholmiÃbrauch, Gewaltbereitschaft, EÃstörungen und so weiter.â 3
Und gerade angesichts der zunehmenden Zahl schlimmer Verzweiflungstaten wie Amokläufen an Schulen sollten wir uns fragen, welchen Anteil unser Schulsystem daran hat. Teilweise erkennt man schon in den unteren Klassen Tendenzen im Verhalten und im Wesen eines Schülers, die auf eine absolute Entmutigung und mögliche spätere Schwierigkeiten hindeuten. Aber das, was diese Schüler so dringend bräuchten, bekommen sie nicht: Ãber Jahre hinweg erleben sie in der Regel statt Anerkennung Missbilligung, statt Erfolgserlebnissen Demoralisierung, statt bereichernder Freundschaften Ausgrenzung, statt der Ausbildung einer mit sich selbst zufriedenen Persönlichkeit die Entfremdung von sich selbst. Statt um sinnhaftes, sie bereicherndes Lernen und Visionen geht es darum, Kriterien zu erfüllen. Diese Kinder und Jugendlichen ziehen sich zurück, machen âauf coolâ oder fügen sich und definieren sich über das erfolgreiche Erfüllen von Vorgaben. Sie selbst werden nicht gesehen. Kein Wunder, dass sie das irgendwann einfordern oder erzwingen. Und dann wird die Frage gestellt, warum das niemandem vorher aufgefallen ist, warum niemand etwas gemerkt hat. Diese Kinder haben überhaupt keine Chance bekommen, ein wertvolles Selbstbild aufzubauen. Vielleicht haben wir uns schon zu sehr daran gewöhnt, dass nicht wenige unserer Kinder derart verletzt aufwachsen (müssen). Ein Mensch mit einem gesunden Selbstgefühl und ausreichend Raum zum Sein begeht keinen Mord.
Selbstgefühl entwickelt sich laut Juul hauptsächlich durch zwei Aspekte positiv: Wenn mindestens ein Mensch, der in unserem Leben bedeutungsvoll ist, uns âsiehtâ und anerkennt, wie wir sind. Und wenn wir erleben, dass wir für andere Menschen, so wie wir sind, wertvoll sind. Spürt ein Kind hingegen Besorgnis, so wird ihm vermittelt: âIch rechne nicht damit, dass du zurechtkommst.â
Wir erziehen Kindern durch das ständige Beâ und Verurteilen die Fähigkeit ab, auf sich selbst zu hören, sich selbst, so wie sie sind, als liebenswert und wunderbar zu erleben, sich für sich selbst organisch weiterzuentwickeln, sich in der Gemeinschaft als wertvoll wahrzunehmen und an Situationen zu wachsen.
Kinder in der Schule müssen von klein auf mehr oder weniger subjektiven Kriterien genügen. Da kann im Vorwort zum Lehrplan noch so deutlich drinstehen, dass die Ganzheit des Kindes gesehen werden muss. Letztendlich zählen nur ganz bestimmte Leistungen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt erbracht wurden. Und für den Ãbertritt an die weiterführenden Schulen und damit für das Prädikat âintelligentâ und
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