Was wirklich zählt, ist das gelebte Leben: Die Kraft des Lebensrückblicks (German Edition)
auch Ressourcen. So sagt ein älterer Mann, mit seiner Frau zusammen habe er mit großer Freude gekocht. Er erzählt, was sie miteinander gekocht haben und er lässt sich auch interessante Rezepte entlocken, die ihm präsent sind. Warum soll er nicht einmal diese Gerichte wieder kochen? Wen könnte er denn zum Essen einladen? Allein zu kochen, sinniert er, das werde ihn bestimmt traurig stimmen, aber allein zu essen, das könnte er nicht aushalten. Das müsse aber auch nicht sein: Er kenne genug Menschen, die er einladen könne. Vielleicht den alleinerziehenden Vater im Nachbarhaus mit seinen Kindern? Der könnte das schätzen.
Eine stille Freude erscheint – keine laute, aber eine Freude, auf die er immer wieder zurückgreifen kann. Und er löst damit auch noch Freude bei anderen Menschen aus.
Erinnerungen im Trauerprozess werden auch durch Träume ausgelöst. Träume von verstorbenen Menschen berühren uns und geben uns auch ein Gefühl für das Geheimnis des Traumerlebens.
Haben wir vor kurzem einen Menschen verloren, sehnen wir uns geradezu danach, ihn in unseren Träumen noch einmal zu treffen, von ihm noch einmal einen Hinweis zu bekommen. Natürlich »leben« auch unsere Verstorbenen in unseren Erinnerungen. Wir können ihnen da sogar ein wichtiges Leben zubilligen – bis hin, dass wir nur noch mit den Verstorbenen leben und dem aktuellen Leben verloren gehen. Trauerprozesse können durch aktuelle Träume befördert werden, 37 etwa wenn im Traum der verstorbene Ehemann darauf hinweist, dass ein neues Ehebett vielleicht doch richtig wäre. Dies träumte eine Frau, die eine scheue Beziehung zu einem Mann angeknüpft hatte, aber der Ansicht war, sie müsse doch ihrem verstorbenen Mann treu bleiben.
Der mehr als 80-jährige Mann, der seine Frau vor zwei Jahren verloren hat, träumt immer wieder von ihr. Er findet das »normal« und tröstlich, spricht aber nicht mit jedermann darüber. Jetzt aber hat er einen eigentümlichen Traum, der ihn beschäftigt:
»Ich habe von Berta geträumt. Wir waren jung. So um die 40. Wir waren in den Bergen – beim Wandern. Plötzlich ist uns eingefallen, dass wir die Kinder unversorgt zu Hause gelassen haben. Wir haben Schuldgefühle. Wissen nicht, was tun. Schnell nach Hause? Oder was?
Und jetzt sagt Berta zu mir – und ich bin so alt wie ich jetzt bin und sitze an meinem Lieblingsplatz im Garten: ›Und das ist immer noch dein Problem, du hast jetzt nur noch ein Kind, aber du schaust einfach nicht zu deinen Kindern.‹ Dann knallt sie die Türe zu.
Ich bin erwacht – zuerst mit Schuldgefühlen – ich habe etwas versäumt. Dann mit Wut auf Berta: Wenn sie schon tot ist, soll sie keine Türen knallen, das hat sie früher immer gemacht, wenn sie sehr wütend war! Dann hat mich der Traum gepackt – noch einmal so jung zu sein!
Wir sind manchmal zu zweit – nur wir beide – in den Bergen wandern gegangen. Aber wir hatten die Kinder versorgt, bei Eltern und Geschwistern. Aber wir hatten doch ein wenig ein schlechtes Gewissen. Berta mehr als ich. Aber das tat uns gut! Wir haben die Kinder nie wirklich vergessen. Na ja« – und dann erzählte er mit vielen Auslassungen eine Geschichte von einer Wanderung, die so schön war, so romantisch, so voll von sexuellem Begehren und Erfüllung, dass sie die Lüge erfanden, eine Seilbahn habe überraschend ihren Berieb eingestellt. So konnten sie sich noch einen Tag ohne Kinder genießen. Der alte Mann schwelgt in seiner Erinnerung: »Ja, das war ein Höhepunkt meines Lebens mit meiner Frau …«
Aber dann wundert er sich, welches Kind er denn noch versorgen muss: Natürlich sind alle Kinder längst erwachsen und leben ihr Leben. Es gibt Enkel, Urenkel, zu denen er eine Beziehung hat, die er aber nicht betreuen muss. Überhaupt sagt Berta: ein Kind. Was liebt er denn im Moment wie ein Kind? Was ist ihm so wichtig wie ein Kind? Eigentlich wollte er vor längerer Zeit ein paar Seiten schreiben zu seiner Ehe. Er wollte seinen Nachkommen zeigen, wie sie miteinander gelebt hatten. Aber er fand die richtigen Worte nicht. Er fand alles, was er sagen wollte, so banal. Dabei wollte er über die Liebe zu seiner Frau schreiben, darüber, wie sehr sie einander begehrt hatten – erzählen konnte er ja so etwas nicht. Jetzt aber meinte er, er habe doch einen Auftrag bekommen, zu diesem »Kind« noch zu stehen, ein Thema für seinen Lebensrückblick! Träume können alte Themen in unserem Leben wieder ins Bewusstsein heben. Dabei
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