Was wirklich zählt, ist das gelebte Leben: Die Kraft des Lebensrückblicks (German Edition)
sich und mit der Welt einverstanden war, in denen das Leben besser als zu erwarten war, in denen man bereit war, sich zu öffnen und mit anderen zu teilen. Wir fühlen uns ganz, im Modus des Verbundenseins mit anderen Menschen, in einem Welterleben, das uns das Leben in seiner unerwarteten Fülle auch zeigt. Wir können gönnend sein, brauchen nicht geizig auf unserem zu beharren, nicht neidisch anderen Menschen ihr Glück missgönnen.
Durch das Erstellen einer Freudenbiografie werden wir auch für die aktuellen Erfahrungen von Freude sensibilisiert, können sie stärker wahrnehmen, achtsamer sein und sie auch mehr genießen.
Auf diese Weise kann man erlebte Freuden wieder reaktivieren: Sie sind eine wichtige Ressource, möglicherweise verbessern sie sogar unsere Immunabwehr. Vor allem aber hilft die emotionale Erinnerung an Freuden auch, das Leben nicht nur mit den Schwierigkeiten, sondern auch im Geglücktsein wahrzunehmen. Das Erstellen einer Freudenbiografie ist in jedem Alter sinnvoll, besonders aber in höherem Alter, wenn man sich mit Gewinn und Verlust auseinandersetzt. Die Freude ist auf der Seite des Gewinns. Und: Viele Freuden sind zugedeckt von den Alltagssorgen, von der Geschäftigkeit. Freude braucht Muße, auch Erinnerungsmuße. Es geht dabei nicht darum, einen Konflikt zu lösen, sondern sich einfach zu freuen. Gelingt das, dann fühlen wir uns verbunden mit anderen Menschen, mit der Natur, mit dem Ganzen. – Die Erfahrung von Freude, aktuell oder aktuell in der Erinnerung, kann zu einer wichtigen spirituellen Erfahrung werden.
Wenn wir uns freuen, schaffen wir uns eine ganz andere Welt, als wenn wir ärgerlich sind. In der Freude erzählen wir auch von uns ganz andere Geschichten, eben Freudengeschichten. Das sind Geschichten von selbstverständlichem Selbstvertrauen, von Bedeutsamkeit, auf der man nicht beharren muss, von Offenheit und der Möglichkeit des Sich-Öffnens, von einem Selbstgefühl der Vitalität und der Kompetenz, mit dem Leben umgehen zu können, von Lebensenergie. Es sind Geschichten, die meistens von Nähe zu anderen Menschen geprägt sind, von Großzügigkeit, von der Überzeugung, miteinander Lösungen zu finden. Freude ist eben die grundlegende Emotion für Verbundenheit und Solidarität.
Bei der Rekonstruktion der Freudenbiografie kann aber auch Wehmut auftauchen, darüber, dass einige Freuden zwar noch in der Erinnerung, aber nicht mehr aktuell zu erfahren sind.
Vielleicht gelingt es, sie erinnernd imaginativ ins Erleben zurückzuholen.
Eine an sich noch junge Frau, durch ihre Krebskrankheit aber in ihren Lebensmöglichkeiten sehr eingeschränkt, erzählt, wie gern sie geklettert sei. Sie verbrachte viel Zeit ihres Lebens in den Bergen, kletterte unter anderem im Himalaya. Und nun ist sie zu schwach, um bergauf zu gehen: Eine verlorene Freude! Ein verlorenes Leben! Viele verlorene Freuden!
Es gelang ihr, in der Imagination die Erfahrung des Kletterns auch körperlich spürbar nachzuvollziehen: Sie konnte riechen, wie es damals in den Basislagern gerochen hatte, wie die Luft sich angefühlt hatte. Sie spürte den Körper, dem sie alles abverlangt hatte, sie spürte den Moment der Grenzerfahrung: gerade noch geschafft! »Ich kann mich wirklich zurückversetzen – und es fühlt sich sehr gut an. Die Freude kommt zurück.« Diese Imagination konnte sie bis kurz vor dem Tod realisieren und sie war für sie ein Trost.
Für viele Menschen ist Freude mit Erinnerungen an Vitalität verbunden, die in dieser Form nicht mehr zugänglich ist. Doch es ist möglich, sich wenigstens an die Freude zu erinnern, aber auch Wehmut darüber zu empfinden, dass gewisse Freuden nicht mehr realisierbar sind. Und dann kann man sich vielleicht neuen, noch möglichen Freuden zuwenden. Gelingt es, das Bleibende, die Erinnerung, zu sehen, oder erleben wir nur den Verlust? Und kann man die noch möglichen Freuden, vielleicht auch ganz neue Freuden, sehen und auch wertschätzen?
Dazu ein 70-Jähriger: »Ich habe jetzt jeden Morgen Zeit, ausführlich die Zeitung zu lesen. Ich mache mir einen guten Kaffee und freue mich so richtig. Es ist eine stille Freude, aber ich freue mich auf diese Stunde.«
Eine 80-Jährige: »Ich schaue jetzt lange aus dem Fenster, ich nehme richtig das Wetter wahr und die Jahreszeiten – und ich freue mich daran, dass sich da draußen alles immer wieder wandelt. Es ist immer wieder etwas Neues zu sehen. Und dann die Vögel vor meinem Fenster! Für all das habe
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