Was wirklich zählt, ist das gelebte Leben: Die Kraft des Lebensrückblicks (German Edition)
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Um Freuden in der vorstellungsbezogenen Erinnerung wieder zu reaktivieren, ist es wichtig, präzise nach ihnen zu fragen. Was hat Ihnen gestern / heute Freude gemacht? Wie hat es sich angefühlt? Wie hat es auf ihre Stimmung gewirkt? Hat sich dadurch Ihr Verhalten verändert? Und: Worauf freuen Sie sich?
Die Vorfreude ist eine besonders intensive Freude. Sie ist verbunden mit einer etwas ängstlichen Erwartung, ob es denn auch so kommen könnte, wie man es sich in der Vorstellung ungehindert ausmalt. Oder man meint zumindest, dass niemand einem die Vorfreude nehmen kann, auch wenn das Ersehnte nicht eintrifft oder vermutlich in einer anderen Form eintrifft, als man es sich ausmalt. Die Vorfreude, diese erregte Freude, bezieht ihre spezielle Qualität gerade daraus, dass sie nur in der Imagination dieses »besser, als zu erwarten ist« ausmalt. Sie zeigt damit aber sehr deutlich, wie denn unsere Wünsche aussehen könnten. Wer den Gewinn aus der Vorfreude ziehen kann, wird die Vorfreude als die beste aller Freuden bezeichnen. Wer in der Vorfreude Erwartungen konstruiert, von denen er oder sie denkt, dass sie auch ganz und gar erfüllt werden müssen, wird diese Freude als riskanteste der Freuden zu vermeiden wissen oder ständig enttäuscht sein. Sicher, das Realitätsprinzip ist auf der Seite der zuletzt genannten, aber nicht die ungefährliche Lust am Leben.
Also: Wo sind die Vorfreuden? Es gibt auch ganz ungefährliche Vorfreuden: etwa, wenn man sich darauf freut, dass es bald wieder Spargel geben wird, dass der See warm genug zum Schwimmen sein wird oder dass man sich einen schönen Blumenstrauß aussuchen wird.
Die Rekonstruktion der Freudenbiografie
Es geht darum, diese Emotion immer wieder zu finden und zu erweitern. Situationen, die Freude ausgelöst haben, müssen dazu immer wieder in der Erinnerung zurückgeholt werden, man muss sie sich immer wieder ins Gedächtnis rufen und sie auch auskosten. Viele Freuden werden mehr, wenn man sie mit anderen Menschen teilt, vorausgesetzt, diese sind nicht neidisch und müssen einem die Freude nicht verderben. Kann man Freude teilen, dann ist es doppelte Freude. Dann gewinnt man Freude durch Ansteckung. Emotionen sind ansteckend: Es ist zum Beispiel sehr schwierig, sich bei ärgerlichen Menschen aufzuhalten und dabei selber nicht ärgerlich zu werden. Mit der Emotion Freude könnte man sich bei freudigen, heiter gestimmten Menschen anstecken: Es ginge also darum, sich von freudigen Menschen, aber auch von Texten, die Freude bereiten, oder von Musik, bei der es uns kalt den Rücken hinunter läuft, anstecken zu lassen. Auch Träume können, besonders wenn sie imaginativ ausgearbeitet werden, nicht nur auf Konflikte hin befragt werden, sondern auch auf Situationen, die Freude auslösen. Und diese Situationen dürfen ausgekostet werden. Und wenn das zu wenig ist: Es gibt darüber hinaus die Methode der »Selbstansteckung« durch die Rekonstruktion der Freudenbiografie.
Dabei versucht man, sich die bedeutsamen Freudensituationen in verschiedenen Lebensaltern vorzustellen, etwa dadurch, dass man sich mit einer imaginativen Technik in die Körperbewegungen des Vorschulkindes oder des Schulkindes einfühlt, besonders natürlich in Körperbewegungen, die Freude gemacht haben. Man kann sich die Situation wie einen Film vorstellen oder in die Haut des Kindes schlüpfen. Gefragt wird nach der Emotion der Freude, auch nach freudigem Stolz. Werden solche Imaginationen der Freude erzählend, etwa in einer Gruppe, ausgetauscht, werden weitere Erinnerungen wach. Meistens werden dann auch spätere Erinnerungen zugänglich. Fallen spontan keine weiteren freudigen Erlebnisse aus dem eigenen Leben ein, kann man die Chronologie zur Hilfe nehmen: Was hat Freude ausgelöst, als man etwa zwölf Jahre alt war? Auch die Vorfreude ist anzufragen. Die Vorfreude ist eine besonders intensive Freude, da sie auch mit Neugier und Unsicherheit gekoppelt ist.
Können Sie sich erinnern, mit wem Sie als Vorschulkind oder als junges Schulkind Spiele gespielt haben, die große Freude ausgelöst haben? Können Sie sich eine solche Situation, die ihnen gefallen hat, in Erinnerung rufen? Die Beantwortung dieser Fragen kann eine Freudenbiografie einleiten.
Ein 68-jähriger Mann erinnert sich, wie er mit den Großeltern Mühle gespielt hatte. Sie ließen ihn manchmal gewinnen. Später, als er es besser konnte, wollte er nicht mehr, dass sie ihn gewinnen ließen.
Er erinnerte sich daran,
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