Was wirklich zählt, ist das gelebte Leben: Die Kraft des Lebensrückblicks (German Edition)
ich früher keine Zeit, aber auch keinen Sinn gehabt: Ich war immer in Bewegung! Diese neuen Freuden sind keine lodernden Freuden, aber es sind Freuden! Ich musste lernen, stille Freuden auch als Freuden zu sehen.«
In den Freudenbiografien fällt auf, dass es offenbar vor allem stille Freuden, kleine Freuden sind, die die Lebensqualität ausmachen. Freuden, die sich ohne viel Aufwand im täglichen Leben immer wieder ereignen können. Oft sind es Freuden, die selber hergestellt werden können und die möglichst wenig abhängig von gewissen Lebensumständen sind oder davon, dass andere Menschen uns etwas Gutes tun. Das heißt nicht, dass man sich über diese unverhofften Gaben nicht freut. Aber die Freuden, die wir selber herstellen können, sind Freuden, auf die wir uns verlassen können – sie bilden eine zuverlässige, nachhaltige Ressource.
Freuden, die uns andere Menschen gewähren oder auch entziehen können, sind – so wusste schon Seneca – prekäre Freuden und nicht anzustreben, denn sie sind unterhöhlt von der Angst vor Verlust. Anzustreben sei die Freude aus dem eigenen Inneren, so Seneca. Sie stammt daher, dass man sich mit sich und dem eigenen Leben einverstanden erklärt und sich darüber freut, dass man ein Leben gelebt hat und immer noch existiert. 43
Und so ist auch zu fragen, wie alterstauglich unsere aktuellen Freuden sind: Sind sie es nicht, dann könnte man die alterstauglichen auswählen und sie vielleicht noch etwas optimieren.
Die Idee einer Freudenbiografie ist übrigens alt, wie auch die Wehmut darüber, dass gewisse Freuden im Alter nicht mehr realisierbar sind. Als Mittel gegen die Wehmut riet Epikur (341– 270 v. Chr.), Erinnerungen an angenehme Erfahrungen sorgfältig zu speichern und sie immer wieder ins Gedächtnis zu rufen. So müsse man nicht endlos nach neuen Betätigungsfeldern suchen und entgehe vielen unbefriedigenden Situationen. Noch auf dem Totenbett soll er trotz großer Schmerzen die Gelassenheit bewahrt haben, sich an vergnügliche, inspirierende Gespräche mit Freunden zu erinnern. »All diese Schmerzen aber wiegt auf die Freude meines Herzens in der Erinnerung an die Unterredungen, die wir miteinander geführt haben.« 44 Fürwahr eine große Wertschätzung der Freuden!
Freundschaften
Vielleicht – ziemlich sicher – sind uns im Zusammenhang mit der Freude Freundinnen und Freunde eingefallen. Das sind die Menschen, mit denen wir viel Freude geteilt haben und mit denen wir noch immer viel Freude teilen. 45
Ist es nicht besser, sich zu freuen mit Freunden statt sich wehren zu müssen gegen Feinde? Sich mit anderen Menschen zu befreunden, gibt dem Leben eine große Geborgenheit. Ohne sich befreunden zu können, fehlte einem die Luft zum Leben!
Sich befreunden ist eine Beziehungsform und zugleich eine Lebensform, bei der man sich fragt, welchen Menschen man freiwillig mit Wohlwollen begegnet und wie man dieses Wohlwollen auch so ausdrückt, dass es für den Freund oder die Freundin sichtbar und erlebbar wird. Vermag unser Wohlwollen nicht auch beim anderen Menschen Wohlwollen zu wecken, dann können wir uns nicht mit ihm oder ihr befreunden. Um sich zu befreunden, braucht es ein wechselseitiges Wohlwollen, das wir zeigen müssen, das wir annehmen müssen und das wir uns auch bis zum Ende einer Freundschaft erhalten müssen.
Wohlwollen zeigt sich darin, dass man dem Freund, der Freundin, nur das Beste wünscht, und man setzt sich auch dafür ein, dass dieses »Beste«, wenn immer möglich, erreichbar wird. Vom Freund, von der Freundin erwartet man aber auch nur das Beste, ohne es anzumahnen, sonst verliert die Freundschaft ihren emotionalen Kern. Mehr noch: Man erwartet sogar, dass er oder sie weiß, was im Moment das Beste ist – und weil man befreundet ist, artet das nicht etwa in große Anstrengung aus, man weiß es eben.
Und was hat man von einer Freundschaft? Die Erfahrung, dass es unter den Menschen verlässlich solche gibt, die uns wohl wollen und denen wir wohl wollen, auch angesichts von Meinungsverschiedenheiten, Kränkungen, Enttäuschungen.
Auch die Erfahrung, dass man sich mit diesen Menschen geborgen fühlen und zudem angeregt und herausgefordert werden kann. Freundschaftsbeziehungen sind die Oasen im gelegentlich etwas dornigen Gestrüpp der menschlichen Beziehungen. Sie sind auch ein Netz, das trägt, wenn man einmal ins Leere abzustürzen droht.
Bei einem Lebensrückblick wird man sich die verschiedenen Freundschaften in Erinnerung
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