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Was wirklich zählt, ist das gelebte Leben: Die Kraft des Lebensrückblicks (German Edition)

Was wirklich zählt, ist das gelebte Leben: Die Kraft des Lebensrückblicks (German Edition)

Titel: Was wirklich zählt, ist das gelebte Leben: Die Kraft des Lebensrückblicks (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Kast
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unperfekte Anteile bei sich selber zu sehen, ohne sich deshalb zu zerfleischen, ohne sich im Selbstwertgefühl beeinträchtigen zu lassen, sogar mit einem guten Gefühl darüber, dass wir uns mit Licht und Schatten zu sehen vermögen.
    Scham weist immer auch auf Seiten hin, die wir gerne vor anderen verbergen würden, Seiten, von denen wir überzeugt sind, dass sie nicht in Ordnung sind. Scham verweist auf den Schatten. Gelingt es uns, zu akzeptieren, dass wir eben nicht perfekt sind, und übernehmen wir auch die Verantwortung für diese Seiten, dann können wir uns der Scham stellen und damit kann sie auch transzendiert werden. Wir stehen dann dazu, dass wir verletzbar sind, verletzbar waren, dass wir Menschen sind, die zwar das Beste gegeben haben, es aber damals einfach nicht besser ging.
     
    Die Familienscham und der Blick von Außen
    Schamerfahrungen, die wir ungern thematisieren, betreffen oft unsere Herkunftsfamilie. Wir haben da eine gewisse Loyalität.
    Wie entwickelt sich die Familienscham? Zu Hause lässt man es sich wohl sein. Man kann sich auch ein wenig gehen lassen, man ist etwas weniger kultiviert, als man sich in der Öffentlichkeit gibt. Das ist ja auch das Entspannende am »bei sich zu Hause sein«, es ist weniger anstrengend. Unser Verhalten und auch das Verhalten der Familienmitglieder betrachtet man mit freundlichen Augen: Es ist der Binnenblick. Bestimmte Redewendungen zeigen aber, dass wir schon auch einen Blick von außen miteinbeziehen: »Mach das bloß nie in einem Restaurant …« sagen wir etwa Kindern.
    Wird der Blick von außen eingenommen, wird vieles, was durchaus zur häuslichen Gemütlichkeit beiträgt, peinlich. Adoleszenten Kindern sind Eltern »so was von peinlich«. Bringen sie einen Freund, eine Freundin mit, gibt es Verhaltensanweisungen für Eltern und Geschwister, damit man sich nicht so sehr schämen muss.
    So sagt eine 16-Jährige, die ihren Freund mitbringen will: »Und dass ihr mir dann bloß nicht rülpst!« – Und das in einer Familie, in der es als beliebtes Familienspiel Rülps-Wettkämpfe gibt – aber natürlich nur, wenn sie unter sich sind. Was lustvolles Ritual ist, ist plötzlich total peinlich.
    Adoleszente haben einen scharfen Blick dafür, was sie an ihrer Herkunftsfamilie peinlich finden. Wird die Familie aber von Außenstehenden im gleichen Sinne kritisiert, dann wehrt man sich für die Familie. Und das nicht nur in der Adoleszenz! Man bleibt identifiziert mit der Familie, mit dem Clan, und idealisiert sie immer noch etwas, auch wenn man schon längst ausgezogen ist und das eigene Leben lebt. Offenbar brauchen wir diese Loyalität zur Herkunftsfamilie, um uns ein gutes Selbstwertgefühl zu erhalten. Damit einher geht aber auch die stellvertretende Scham für andere Familienmitglieder, wenn diese sich »unmöglich« benehmen. Man kann sich noch so sehr entschließen, sich nur für sich selbst zu schämen – was an sich ein guter Entschluss ist – Fremdschämen im Bereich der Familie, der Herkunftsfamilie und auch der aktuellen Familie, ist nicht zu vermeiden.
    In manchen Familien aber haben Kinder Erfahrungen gemacht, die, würden es die anderen wissen, hoch beschämend wären. Diesen Makel muss man auf jeden Fall verbergen: Oft handelt es sich um Substanzmissbrauch und gewalttätiges Verhalten, aber auch um Familiengeheimnisse, immer auch noch um Scham über das Verhalten von Großvätern im dritten Reich. Hat man einen solchen Familienhintergrund, versucht man, sich nicht zu zeigen, perfekt zu sein – oder man geht mit gesenktem Blick durchs Leben.
    Ein Lebensrückblick wird nicht umhin kommen, diese schambesetzten Erinnerungen liebevoll wohlwollend in ihrer Wirkung zu bedenken. Das kann sehr quälend sein und wird daher in einer Lebensrückblickstherapie geschehen. Ich werde dort auf dieses Thema zurückkommen.
     
    Für den Lebensrückblick als Ganzem bedeutet die Auseinandersetzung mit der Scham vor allem, dass das gesamte Leben freundlicher betrachtet werden kann. Dass auch in Situationen, die uns im Nachhinein noch peinlich sind, auch unser Bemühen wahrgenommen werden kann. Damit wird es möglich, auch unsere Schattenseiten zu sehen – im Rückblick – und sie anzuerkennen. Sie sind ebenfalls real und sie machen auch unser Leben realer und handfester. Können wir unsere eigenen Schattenseiten – wenn auch zähneknirschend – anerkennen, dann rechnen wir auch mit schattenhaftem Verhalten bei anderen Menschen, sind nicht so empört, wenn wir

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