Wasdunkelbleibt
Situationen, die sie fürchten. Wie eine Flucht nach vorn. Alles erscheint ihnen angenehmer, als sich ständig mit ihren Ängsten zu quälen. Daher sind sie fundamentalistischen Weltsichten nicht abgeneigt.«
»Scharfsinnige Analyse.«
»Menschenkenntnis gehört zu meinem Beruf.«
»Zu meinem auch.«
Uj, da hatte er es mir aber gezeigt.
»Frau Laverde, Dv 0 ttny fürchtet sich vor dem, was er sein könnte . Er spürt seine Begabung, seine Genialität, und er ahnt, wohin sie ihn zu treiben imstande ist. Die Konsequenzen erscheinen ihm wie die Apokalypse. Er fürchtet sein Licht, nicht seine Dunkelheit.«
»Wer ist nbn6?«
»Der Name ist mir bisher nicht untergekommen. Ich checke das ab.«
»Und rekinom?«
»Nie gehört.«
»Gibt’s nicht.«
Mossbach hob drei Finger. »Ich schwöre!«
»Dann finden Sie’s raus!«
»Yes, Ma’am.« Er grinste.
»Was ist mit Pia Stein?«
»Sie hat Dv 0 ttny gelinkt. Hat sich mit seiner Geschichte Publicity erschlichen. Dv 0 ttny hätte jemanden gebraucht, der ihm Rückendeckung gibt und die richtigen Türen für ihn öffnet.«
»Sie hätten das gekonnt, was?«
Er stützt die Unterarme auf den Tisch. »Ich bin nicht auf der Welt, um klein beizugeben.«
»Ich auch nicht. Ich traue nur meinem eigenen Urteil.«
»Dann sind wir uns ja einig.« Er stand auf. »Ich rufe Sie an, wenn ich was habe.«
Als ich ein paar Minuten später zum Auto kam, war es stockfinstere Nacht, obwohl die Uhr erst sechs zeigte. Juliane lag in eine Fleecedecke gekuschelt auf der Rückbank und hörte eine Bob-Dylan-CD. »Und?«, fragte sie.
»Ich glaube, er hat mich gerade an meine wirklichen Potentiale herangeführt«, sagte ich.
46
Ich lieferte Juliane bei sich zu Hause ab und fuhr heim. Cyn war längst weg. Ich wanderte durchs Haus und checkte den Keller. Manchmal musste man auf Härte setzen. Auch sich selbst gegenüber.
Bis kurz vor acht hatten Juliane und ich bei Nero gesessen. Es ging ihm besser, er sprach, lächelte, aß, wirkte aber abwesend und verstört. Die Ärztin, die ich schon kannte, hatte mich für zwei Minuten beiseite genommen und mir mitgeteilt, der Oberarzt habe Nero einen Reha-Aufenthalt in Salzburg empfohlen. Sein Herz habe den Infarkt gut verkraftet, soweit man das zum derzeitigen Zeitpunkt sagen könne, aber Nero müsse vorsichtig sein.
»Arbeiten darf er in den nächsten zwei Monaten auf keinen Fall. Seine Blutwerte sind nicht die besten. Er leidet an einer leichten Anämie. Außerdem hat er mal eine Hepatitis aufgeschnappt, die nicht richtig ausgeheilt ist. Das beeinträchtigt ihn nicht unbedingt akut. Aber sein Immunsystem ist angekratzt. Aufregungen aller Art muss er meiden.« Sie sprach immer schneller, holte tief Atem. »Herr Keller leidet zudem an einem akuten Burn-out-Syndrom. Er ist jemand, der sich mit Selbstdisziplin zu herausragenden Taten antreibt, dafür jedoch selbst auf der Strecke bleibt. Viele Patienten fühlen sich nach dem ersten Infarkt schnell wieder leistungsfähig. Und dann kommt der zweite. Das war’s dann oft.« Sie sah mich dabei so eindringlich an, dass ich fürchtete, sie würde mir abartige Sexpraktiken unterstellen.
Juliane hatte angeboten, die Nacht bei mir zu verbringen, aber ich wollte nach diesem irren Tag einfach nur zur Ruhe kommen.
Die Ruhe währte allerdings nicht lange. Mein Handy klingelte. Freiflug.
»Huch?«, sagte ich. »Sollten wir nicht vorsichtig mit unseren Kontaktdaten sein?«
»Bist du zu Hause?«
»Ja!«
»Kann ich vorbeischauen?«
»Jetzt?« Ein Mann wäre okay, aber keiner mit Pferdeschwanz.
»Ich habe die Kacke am Dampfen.«
»Na, wenn’s denn sein muss …«
Ich stellte mich unter die heiße Dusche, um mich aufzuwärmen, spannte ein Laken auf das Bett im Gästezimmer und warf meinen Schlafsack drauf. Hausfraulich war ich eine Null und ich hatte nicht vor, Illusionen zu wecken. Eine Dreiviertelstunde später klingelte mein Handy wieder.
»Mein Auto macht’s nicht mehr.«
Dass ein LKA-Beamter, der bereits die übelsten Verbrecher zur Strecke gebracht hatte, so weinerlich sein konnte, ging mir auf den Keks.
»Hattest du einen Unfall?«
»Motor ist verreckt.«
Himmelherrgott! Ich hatte so meine Probleme mit Schwächlingen. Konnte er kein Taxi rufen?
»Wo stehst du?«
»Kurz vor Ohlkirchen!«
»Okay. Wir treffen uns im Méditerranée.« Sollte er wenigstens die letzten Meter selbst laufen.
Eine halbe Stunde nach diesem Telefonat allerdings wurden mir die Ohren heiß. Wir saßen an
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