Wasdunkelbleibt
schaffen. Bastian besaß nicht viele Klamotten. Das meiste Jeans, Sweater. In der Nachttischschublade ein Päckchen Präservative. Neugierig zählte Freiflug nach. Von zehn Kondomen waren drei übrig. Er steckte die Schachtel ein.
»Scheiße, das dauert!« Cyn trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte.
Mossbach beugte sich über sie. Die Nähe der beiden widerte Freiflug an. Cyn schien die männliche Zudringlichkeit nicht wahrzunehmen, aber Mossbach nutzte die Situation aus. Einer wie er nahm anscheinend immer Witterung auf. Selbst wenn eine Frau einen Norwegerpulli trug, sah er den BH darunter. Und nicht nur den. Verdammt, war das lächerlich!
Plötzlich blitzte in Freiflugs schmerzendem Kopf ein Gedanke auf. Er tastete nach der Schachtel mit den verbliebenen Kondomen.
»Ich seile mich ab. Ich gehe zur Beerdigung.«
Zwei Augenpaare richteten sich auf ihn.
»Ich bin immer noch Polizist. Ich … na, gut, jedenfalls gehört es einfach dazu. Zu sehen, wer sich dort herumtreibt.«
»Okay«, sagte Cyn nur, dann wandte sie sich wieder ihrer Arbeit zu. »Ciao, Baby!«
Was war er froh, dass er da rauskam! Freiflug schlüpfte in seine eiskalten Boots und trabte durch den frischgefallenen Schnee auf das Gartentor zu. Kea war nirgends zu sehen. Immerhin wären diese Spuren in weniger als zehn Minuten unsichtbar. Es schneite einfach weiter, als wolle der Dezember ganz Bayern, vielleicht sogar ganz Europa, verschlucken. Zugedeckt zu werden, selbst von zweifelhaften Eiskristallen, erschien Freiflug zurzeit gar nicht so unerquicklich. Wer nicht gesehen wurde, den ließ man in Frieden. Deswegen genossen wahrscheinlich manche Zeitgenossen den Schnee. Er gab ihnen das Gefühl, dass der Schmutz, das immergleiche Grau einfach unter einer Decke von Weiß verschwanden.
Der Ohlkirchener Friedhof lag in unmittelbarer Nachbarschaft zur Ortskirche. Freiflug kam am Méditerranée vorbei. Drinnen sah es warm und gemütlich aus. Genau der richtige Ort, um mal einen Nachmittag aus allem rauszukommen, dachte Freiflug.
Der Trauergottesdienst war beinahe zu Ende. Die Gläubigen kamen von der Kommunion und quetschten sich zurück in ihre Bänke.
Rasch ließ Freiflug den Blick schweifen. In den ersten beiden Bankreihen saßen die Verwandten. Die Eltern und eine alte Frau mit weißem Haar, vermutlich die Oma. Onkel und Tanten. Erst weiter hinten hockten circa zwanzig Jugendliche wie die Hühner auf der Stange. Bastians Schulklasse schien geschlossen angerückt.
Freiflug war evangelisch, aber katholische Kirchen zogen ihn seit seiner Kindheit magisch an. Er mochte die Sinnlichkeit, die von ihnen ausging. Barocke Engel, aufgespießte Heilige, alte, ausgebleichte Gebeine und Weihrauch. Dazu all die Farbenpracht, von der jetzt im Advent eine besondere Magie ausging.
Die Orgel spielte, der Pfarrer segnete die Gemeinde. Unter dem Klang eines Chorals, den Freiflug kannte, jedoch spontan nicht einzuordnen wusste, verließen die Leute die Kirche. Sie drängten sich im Vorraum zusammen. Keiner wollte in die Kälte hinaus.
Die Teenager klebten in Grüppchen zusammen. Freiflug sah aufmerksam zu – und entdeckte die Außenseiterin sofort. Ein Mädchen, stark geschminkt. Das Make up war verlaufen, zog düstere Spuren über ihr Gesicht. Sie war schön, Oliventeint, vielleicht Türkin. Das Haar steckte unter einer rosa Häkelmütze mit Schirm.
Um sich nicht zu früh festzulegen, folgte Freiflug der Gemeinde zum Grab. Der Friedhof war völlig zugeschneit. Das untere Drittel der Grabsteine war bereits im Schnee versunken. Nur ein einziger Pfad war gespurt worden, damit der Katafalk mit dem Sarg zum Grab gerollt werden konnte. Als es trotzdem auf Rädern nicht mehr weiterging, hoben sechs Männer den Sarg an und trugen ihn die letzten zwanzig Meter. Einer von ihnen glitt im Schnee aus. Eine Frau, die nicht weit entfernt von Freiflug stand, schluchzte auf. Jemand kicherte. Das Mädchen mit dem verschmierten Make up sah sich um. Auf ihrem Gesicht lag ein wütender Ausdruck.
Irgendwann sollte ich ein Buch schreiben über die Beziehungs- und Gefühlsraster auf Beerdigungen, dachte Freiflug. Vielleicht könnte er dies Kea zu gegebener Stunde als Angebot unterbreiten. Er wartete die Zeremonie ab. Niemand nahm Notiz von ihm. Als sich schließlich alle zum Leichenschmaus aufmachten, halb erfroren und mit nassen Füßen und roten Nasen, blieben nur die Eltern und die Oma am Grab stehen.
Die Teenager zerstreuten sich. Die schluchzende Frau von eben
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