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Washington Square

Washington Square

Titel: Washington Square Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry James
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beklagt oder aufgelehnt, sondern demütig den Ratschluß hingenommen und Trost darin gesucht, an die Zeit zu denken, da sie ihn gerade zum ersten Mal gesehen hatte, an die Worte, die er gesprochen hatte, den Klang seiner Stimme, seines Schrittes, den Ausdruck seines Gesichts. Liebe fordert gewisse Dinge als ihr Recht. Aber Catherine hatte keinen Sinn für ihre Rechte; sie hatte lediglich ein Bewußtsein von unermeßlicher und unerwarteter Gunstbezeigung. Selbst ihre Dankbarkeit für all das war verstummt; denn es schien ihr, als hätte es etwas von Schamlosigkeit an sich, wenn sie aus ihrem Geheimnis ein Fest machen würde. Ihr Vater vermutete, daß Morris Townsend sie besuche und bemerkte Catherines Zurückhaltung. Sie schien um Verzeihung dafür zu bitten; ständig sah sie ihn nur stillschweigend an, als wolle sie zum Ausdruck bringen, daß sie nichts sage, weil sie befürchte, ihn zu erzürnen. Doch die sprachlose Beredsamkeit des armen Mädchens brachte ihn mehr auf, als alles andere es vermocht hätte, und er ertappte sich mehr als einmal dabei, wie er vor sich hin murmelte, welch furchtbaren Jammer es bedeute, daß sein einziges Kind ein Einfaltspinsel sei. Sein Gemurmel war jedoch nicht zu vernehmen; und eine Weile sagte er zu niemand etwas. Er hätte gern genau gewußt, wie oft der junge Townsend kam, aber er hatte sich vorgenommen, dem Mädchen selbst keine Fragen zu stellen – ihr nichts mehr zu sagen, was erkennen ließe, daß er ein Auge auf sie hatte. Der Doktor war in hohem Maße davon überzeugt, daß er ausnehmend fair sei: er wollte seiner Tochter ihre Freiheit lassen und nur dann eingreifen, wenn erwiesenermaßen Gefahr bestand. Es lag nicht in seiner Art, sich durch |66| indirekte Methoden Informationen zu verschaffen, und er verfiel schon gar nicht darauf, sein Personal auszufragen. Was Lavinia betraf, so mochte er sie über diese Angelegenheit nicht befragen; sie verdroß ihn mit ihrem pseudoromantischen Wesen. Aber er mußte sich dazu bequemen. Mrs. Pennimans Überzeugungen hinsichtlich der Beziehungen zwischen ihrer Nichte und dem gewieften jungen Besucher, der den Schein wahrte, indem er angeblich beide Damen besuchte – Mrs. Pennimans Überzeugungen waren in eine reifere und ergiebigere Phase übergegangen. In Mrs. Pennimans Behandlung der Situation sollte nichts Unreifes zu finden sein; sie war ebensowenig mitteilsam geworden wie Catherine. Sie genoß die Süße der Heimlichkeit; sie hatte sich auf die Bahn mystischen Dunkels begeben. »Sie wäre entzückt, wenn sie sich beweisen könnte, daß sie verfolgt werde«, sagte sich der Doktor; und als er sie zu guter Letzt fragte, war er überzeugt, sie würde es zuwege bringen, seinen Worten einen Vorwand für diese Überzeugungen zu entnehmen.
    »Sei so gut, mich wissen zu lassen, was im Hause vor sich geht«, sagte er zu ihr in einem Ton, den er unter den gegebenen Umständen für liebenswürdig hielt.
    »Was vor sich geht, Austin?« rief Mrs. Penniman. »Nun, ich weiß es sicher nicht. Ich glaube, heute nacht hat die alte graue Katze Junge bekommen.«
    »In ihrem Alter?« sagte der Doktor. »Die Vorstellung ist erschreckend – fast schockierend. Sei so gut und sieh zu, daß sie alle ertränkt werden. Aber was hat es sonst noch gegeben?«
    »Ach, die reizenden, niedlichen Kätzchen!« schrie Mrs. Penniman auf. »Ich möchte um alles in der Welt nicht, daß sie ertränkt werden!«
    Ihr Bruder paffte eine kleine Weile schweigend seine |67| Zigarre. »Deine Sympathie für Kätzchen, Lavinia«, begann er dann wieder, »entspringt einem katzenartigen Element in deinem Charakter.«
    »Katzen sind sehr anmutig und sehr reinlich«, sagte Mrs. Penniman lächelnd.
    »Und voller Heimlichtuerei. Du bist die Verkörperung von Anmut und Reinlichkeit; aber es mangelt dir an Offenheit.«
    »Dir sicher nicht, lieber Bruder.«
    »Ich erhebe keinen Anspruch darauf, anmutig zu sein, wenngleich ich bemüht bin, reinlich zu sein. Warum hast du mich nicht wissen lassen, daß Mr. Morris Townsend viermal wöchentlich ins Haus kommt?«
    Mrs. Penniman hob die Brauen. »Viermal wöchentlich!«
    »Dann eben dreimal oder fünfmal, wenn dir das lieber ist. Ich bin den ganzen Tag fort und sehe daher nichts. Aber wenn solche Dinge vorkommen, solltest du mich das wissen lassen.«
    Mrs. Penniman dachte, weiterhin mit hochgezogenen Brauen, angestrengt nach. »Lieber Austin«, sagte sie schließlich, »ich bin nicht imstande, Vertrauen zu mißbrauchen. Eher würde ich alles

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