Washington Square
Stil hat«, sagte Mrs. Almond. »Der Grund, warum Catherine so wenig Beachtung gefunden hat, ist, daß sie all den jungen Männern älter vorkommt, als sie selbst sind. Sie ist so stattlich und kleidet sich so kostbar. Sie scheuen sich eher vor ihr, glaube ich; sie sieht aus, als wäre sie schon einmal verheiratet gewesen, und wie du weißt, mögen sie verheiratete Frauen nicht. Und wenn unsere jungen Männer so wenig berechnend sind«, fuhr die weisere Schwester des Doktors fort, »dann deshalb, weil sie im allgemeinen so jung heiraten – noch vor fünfundzwanzig, im Alter der Unschuld und Aufrichtigkeit, vor dem Alter der Berechnung. Wenn sie nur etwas warten würden, erginge es Catherine besser.«
»Als Objekt der Berechnung? Na, ich danke«, sagte der Doktor.
»Warte nur, bis ein intelligenter Mann von vierzig kommt, und er wird entzückt sein von Catherine«, fuhr Mrs. Almond fort.
|56| »Dann ist Mr. Townsend also nicht alt genug? Seine Motive sind womöglich untadelig.«
»Es ist sehr gut möglich, daß seine Motive untadelig sind. Ich würde sehr bedauern, wenn ich das Gegenteil annehmen müßte. Lavinia tut das ganz und gar nicht. Und da er ein sehr anziehender junger Mann ist, dürfte dein Zweifel von Wohlwollen geprägt sein.« Dr. Sloper überlegte einen Moment.
»Welche Mittel stehen ihm gegenwärtig für seinen Lebensunterhalt zur Verfügung?«
»Ich habe keine Ahnung. Er wohnt, wie gesagt, bei seiner Schwester.«
»Einer Witwe mit fünf Kindern? Meinst du, er lebt auf
ihre
Kosten?«
Mrs. Almond stand auf und fragte mit einer gewissen Ungeduld: »Wäre es nicht besser, du würdest Mrs. Montgomery fragen?«
»Kann sein, daß ich es tue«, meinte der Doktor. »Second Avenue sagtest du?« Und er notierte sich die Second Avenue.
|57| 7. KAPITEL
Er nahm die Angelegenheit indes keineswegs so ernst, wie es den Umständen entsprechend ratsam gewesen wäre; in der Tat amüsierte ihn die ganze Situation vor allem. Im Hinblick auf Catherines Aussichten befand er sich nicht im mindesten in einem Zustand von Spannung oder Wachsamkeit; ja er war geradezu auf der Hut davor, sein Haus könnte sich der Lächerlichkeit preisgeben durch das Schauspiel, daß man dort in Aufregung gerate, weil die Tochter und Erbin Aufmerksamkeiten erfahren hatte, wie sie in den Annalen dieses Hauses beispiellos waren. Mehr noch, er ging so weit, sich einige Unterhaltung zu versprechen von dem kleinen Drama – wenn es überhaupt ein Drama war –, in dem Mrs. Penniman den scharfsinnigen Mr. Townsend als Helden zu präsentieren wünschte. Bis jetzt hatte er nicht die Absicht, den Ausgang dieses Dramas in die rechte Bahn zu leiten. Er war durchaus bereit, wie Elizabeth vorgeschlagen hatte, jeden Zweifel gegenüber dem jungen Mann wohlwollend auszulegen. Darin lag eine große Gefahr; denn Catherine war mit ihren zweiundzwanzig Jahren schließlich eine ziemlich reife Blüte, so daß sie ohne starken Ruck vom Stiel gepflückt werden konnte. Der Umstand, daß Morris Townsend arm war, sprach nicht zwangsläufig gegen ihn. Der Doktor hatte niemals beschlossen, seine Tochter müsse einen reichen Mann heiraten. Das Vermögen, das sie erben würde, erschien ihm als durchaus hinreichende Versorgung für zwei vernünftige Leute, |58| und wenn sich als Heiratskandidat ein mittelloser Liebhaber einstellte, der gute Rechenschaft über sich ablegen konnte, sollte er ganz nach seinen persönlichen Vorzügen beurteilt werden. Daneben spielten noch andere Dinge eine Rolle. Der Doktor hielt es für ungehörig, Leute voreilig gewinnsüchtiger Motive zu beschuldigen, zumal seine Pforte bis jetzt nicht im geringsten von Mitgiftjägern belagert worden war; und schließlich war er sehr neugierig, ob Catherine wirklich um ihres moralischen Wertes geliebt werden könne. Er mußte lächeln, als er daran dachte, daß der arme Mr. Townsend erst zweimal im Haus gewesen war, und er sagte Mrs. Penniman, wenn er das nächste Mal komme, müsse sie ihn zum Dinner einladen.
Er kam sehr bald wieder, und Mrs. Penniman bereitete es natürlich großes Vergnügen, diese Mission auszuführen. Morris Townsend nahm ihre Einladung ebenso bereitwillig an, und das Dinner fand ein paar Tage darauf statt. Der Doktor hatte sich, sehr zu Recht, gesagt, der junge Mann sollte nicht ihr einziger Gast sein; das würde zu sehr den Eindruck von Ermutigung erwecken. Daher wurden noch zwei oder drei andere Leute eingeladen; aber Morris Townsend war, wenn auch keineswegs der
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