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Washington Square

Washington Square

Titel: Washington Square Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry James
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offenkundige, so doch der eigentliche Anlaß des Festes. Es scheint alles für die Annahme zu sprechen, daß er einen guten Eindruck zu machen wünschte, und wenn er das nicht ganz erreichte, war das nicht auf einen Mangel an hinreichenden intelligenten Bemühungen zurückzuführen. Der Doktor sprach während des Essens sehr wenig mit ihm, aber er beobachtete ihn aufmerksam, und nachdem die Damen hinausgegangen waren, schob er ihm den Wein zu und stellte ihm allerhand Fragen. Morris war kein junger Mann, der genötigt werden |59| mußte, und er fand in der vorzüglichen Qualität des französischen Rotweins durchaus genug Ermunterung. Der Wein des Doktors war bewundernswert, und es soll dem Leser nicht vorenthalten werden, daß Morris, während er an ihm nippte, erwog, daß ein Keller, wohlgefüllt mit guten Tropfen – und offensichtlich gab es hier einen solchen Keller – eine höchst vorteilhafte Spezialität eines Schwiegervaters sei. Den Doktor beeindruckte es, daß sein Gast ein Kenner war; er sah, daß es sich hier um keinen durchschnittlichen Mann handelte. »Er hat Talent«, sagte sich Catherines Vater, »entschieden Talent. Er hat einen sehr guten Kopf, wenn er sich dazu bequemt, Gebrauch davon zu machen. Und er ist ungewöhnlich gut geraten; genau die Art Figur, die den Frauen gefällt; aber ich glaube nicht, daß ich ihn mag.« Der Doktor behielt indes seine Überlegungen für sich und unterhielt sich mit seinen Besuchern über fremde Länder, wozu ihm Morris mehr Information zu bieten hatte, als er – wie er sich in Gedanken ausdrückte – zu schlucken bereit war. Dr. Sloper war nur wenig gereist, und er nahm sich die Freiheit, nicht alles zu glauben, was sein gesprächiger Gast zum besten gab. Er bildete sich allerhand darauf ein, etwas von Physiognomie zu verstehen; und während der junge Mann mit ungezwungener Selbstsicherheit plauderte, seine Zigarre paffte und sein Glas aufs neue füllte, saß der Doktor da und hatte ruhig die Augen auf sein aufgewecktes, ausdrucksvolles Gesicht geheftet. »Er ist so selbstsicher wie der Teufel selbst!« sagte sich Morris’ Gastgeber. »Ich glaube, eine derartige Selbstsicherheit ist mir noch nie vorgekommen. Und seine Erfindungsgabe ist höchst bemerkenswert. Er ist ungemein weltklug; zu meiner Zeit war man nicht so weltklug. Und sagte ich nicht, ›ein guter |60| Kopf‹? Das glaube ich gern – nach einer Flasche Madeira und anderthalb Flaschen Rotwein!«
    Nach Tisch stellte sich Morris Townsend zu Catherine, die in ihrer roten Satinrobe vor dem Kaminfeuer stand.
    »Er mag mich nicht – er mag mich ganz und gar nicht«, sagte der junge Mann.
    »Wer mag Sie nicht?« fragte Catherine.
    »Ihr Vater; ein außergewöhnlicher Mann!«
    »Ich verstehe nicht, wie Sie darauf kommen«, sagte Catherine errötend.
    »Ich fühle das; ich fühle so etwas sehr schnell.«
    »Vielleicht irren Sie sich.«
    »Nun gut, fragen Sie ihn doch, und Sie werden schon sehen.«
    »Ich möchte ihn lieber nicht fragen, wenn irgendeine Gefahr besteht, daß er das sagt, was Sie denken.«
    Morris sah sie mit einer Miene gespielten Trübsinns an.
    »Es würde Ihnen gar kein Vergnügen machen, ihm zu widersprechen?«
    »Ich widerspreche ihm niemals«, sagte Catherine.
    »Könnten Sie denn mit anhören, wie man Schlechtes über mich sagt, ohne ihre Lippen zu meiner Verteidigung zu öffnen?«
    »Mein Vater wird nichts Schlechtes über Sie sagen. Er kennt Sie ja nicht gut genug.«
    Morris Townsend lachte laut auf, und Catherine begann aufs neue zu erröten.
    »Ich werde Sie nie erwähnen«, sagte sie, um ihrer Verlegenheit zu entkommen.
    »Das ist sehr gut, aber nicht ganz das, was ich gern von Ihnen gehört hätte. Ich hätte gern gehabt, daß Sie |61| gesagt hätten: ›Wenn mein Vater keine gute Meinung von Ihnen hat, was macht das schon aus?‹«
    »Oh, das würde wohl etwas ausmachen; ich könnte das nicht sagen!« rief das Mädchen.
    Er sah sie einen Augenblick leicht lächelnd an, und wenn ihn der Doktor gerade in diesem Moment beobachtet hätte, würde er einen Schimmer leichter Ungeduld in der freundlichen Sanftheit seiner Augen wahrgenommen haben. Doch in Morris’ Erwiderung lag keine Ungeduld – oder höchstens so viel, wie sich in einem kleinen rührenden Seufzer ausdrückt. »Nun gut, dann darf ich die Hoffnung nicht aufgeben, ihn umzustimmen.«
    Später am Abend drückte er das Mrs. Penniman gegenüber offenherziger aus. Zuvor aber sang er auf Catherines schüchterne Bitte hin zwei

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