Washington Square
mögliche erdulden.«
»Keine Angst; du sollst nichts erdulden. Auf wessen Vertrauen spielst du denn an? Hat Catherine dir ein Gelübde ewiger Verschwiegenheit abgenommen?«
»Keineswegs. Catherine hat mir nicht mehr erzählt, als ihr beliebte. Sie war nicht sehr vertrauensvoll.«
»Ist es dann der junge Mann, der dich zu seiner Vertrauten gemacht hat? Gestatte mir zu bemerken, daß es in höchstem Grad unvorsichtig von dir ist, geheime Bündnisse mit jungen Männern zu schließen; du weißt nicht, wohin dich das führen kann.«
|68| »Ich weiß nicht, was du mit einem geheimen Bündnis meinst«, sagte Mrs. Penniman. »Ich hege für Mr. Townsend großes Interesse; das will ich nicht verhehlen. Doch das ist auch alles.«
»Unter diesen Umständen ist das völlig hinreichend. Woher rührt denn dein Interesse an Mr. Townsend?«
»Nun«, sagte Mrs. Penniman grübelnd und setzte dann mit einem Lächeln hinzu: »Er ist eben so interessant!«
Der Doktor fühlte, daß er sich in Geduld fassen mußte. »Und was macht ihn so interessant? Sein gutes Aussehen?«
»Seine Mißgeschicke, Austin.«
»Ach, er hat Mißgeschicke gehabt? Das ist natürlich immer interessant. Steht es dir frei, einige von Mr. Townsends Mißgeschicken zu nennen?«
»Ich glaube nicht, daß es ihm recht wäre«, sagte Mrs. Penniman. »Er hat mir eine ganze Menge von sich erzählt – im Grunde hat er mir seine ganze Lebensgeschichte erzählt. Aber ich glaube nicht, daß ich das ausplaudern sollte. Ich bin überzeugt, er würde sie dir erzählen, wenn er annehmen könnte, du würdest ihm wohlwollend zuhören. Mit Wohlwollen könntest du alles bei ihm erreichen.«
Der Doktor lachte auf. »Dann werde ich ihn sehr wohlwollend ersuchen, Catherine in Frieden zu lassen.«
»Ach!« sagte Mrs. Penniman und drohte ihrem Bruder mit dem Zeigefinger, wobei sie ihren kleinen Finger abspreizte. »Catherine hat ihm wahrscheinlich etwas Wohlwollenderes gesagt als das!«
»Daß sie ihn liebe? Meinst du das?«
Mrs. Penniman schlug ihre Augen zu Boden. »Wie ich dir schon sagte, Austin, sie vertraut sich mir nicht an.«
|69| »Trotzdem hast du vermutlich eine Meinung darüber. Und nach ihr frage ich dich; obgleich ich dir nicht verhehle, daß ich sie nicht für zwingend ansehe.«
Mrs. Pennimans Blick blieb weiterhin auf den Teppich gerichtet; doch schließlich erhob sie ihn, und ihr Bruder hielt ihn nunmehr für höchst bedeutungsvoll. »Ich glaube, Catherine ist sehr glücklich; das ist alles, was ich sagen kann.«
»Townsend bemüht sich darum, sie zu heiraten – meinst du das damit?«
»Er ist sehr an ihr interessiert.«
»Hält er sie für ein so attraktives Mädchen?«
»Catherine hat ein liebenswertes Wesen, Austin«, sagte Mrs. Penniman, »und Mr. Townsend war intelligent genug, das zu erkennen.«
»Mit ein wenig Nachhilfe von dir, nehme ich an. Meine liebe Lavinia«, rief der Doktor, »du bist eine bewundernswerte Tante!«
»Das sagt Mr. Townsend auch«, bemerkte Lavinia lächelnd.
»Glaubst du, daß er aufrichtig ist?« fragte er.
»Wenn er das sagt?«
»Nein; das versteht sich von selbst. Sondern in seiner Bewunderung für Catherine?«
»Zutiefst aufrichtig. Er hat mir die anerkennendsten, reizendsten Dinge über sie gesagt. Er würde sie auch dir sagen, wenn er sicher sein könnte, daß du ihm zuhörst – wohlmeinend.«
»Ich bezweifle, ob ich mich dem aussetzen kann. Er scheint eine gewaltige Portion an Geduld zu erfordern.«
»Er hat ein teilnahmsvolles, feinfühliges Wesen«, sagte Mrs. Penniman.
Ihr Bruder paffte wieder schweigend seine Zigarre. |70| »Und diese delikaten Eigenschaften haben die Wechselfälle seines Lebens überdauert, was? Du hast mir die ganze Zeit über noch gar nichts von seinen Mißgeschicken erzählt.«
»Das ist eine lange Geschichte«, sagte Mrs. Penniman, »und ich betrachte es als ein unverletzliches anvertrautes Gut. Aber ich glaube, es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn ich sage, daß er abenteuerlustig war – er gibt es frank und frei zu. Doch er hat auch dafür bezahlt.«
»Das ist es, was ihn arm gemacht hat, was?«
»Ich meine damit nicht nur das Geld. Er ist sehr allein auf der Welt.«
»Meinst du, er hat sich so übel aufgeführt, daß ihn seine Freunde aufgegeben haben?«
»Er hat falsche Freunde gehabt, die ihn hintergangen und betrogen haben.«
»Er scheint auch einige gute zu haben. Er hat eine ergebene Schwester und ein halbes Dutzend Neffen und Nichten.«
Mrs. Penniman schwieg
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