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Washington Square

Washington Square

Titel: Washington Square Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry James
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hielt sie es sogar für falsch – im Sinne von rücksichtslos –, überhaupt zu versuchen, auf seine Gefühle einzuwirken; ihre Aufgabe war es, einen behutsamen, allmählichen Wandel der Vorstellung seines Verstandes vom Charakter des armen Morris zu bewirken. Die Mittel, einen solchen Wandel zu erreichen, waren allerdings im Augenblick noch in mystisches Dunkel gehüllt, und sie fühlte sich erbärmlich hilflos und ohne Hoffnung. Alle Argumente, alle Entgegnungen hatte sie ausgeschöpft. Ihr Vater hätte sie bedauern können, und das tat er wahrhaftig auch; aber er war überzeugt, daß er recht hatte.
    »Eins kannst du Mr. Townsend sagen, wenn du ihn wieder sprichst«, sagte er, »und zwar: wenn du ohne meine Zustimmung heiratest, hinterlasse ich dir keinen roten Heller. Das wird ihn mehr interessieren als alles andere, was du ihm sagen kannst.«
    »Das wäre auch völlig richtig«, erwiderte Catherine. |148| »In diesem Fall sollte ich keinen roten Heller von deinem Geld bekommen.«
    »Mein liebes Kind«, bemerkte der Doktor lachend, »deine Naivität ist wahrhaftig ergreifend. Mach’ doch diese Bemerkung, in diesem Ton und mit dieser Miene, zu Mr. Townsend und achte auf seine Antwort. Sie wird nicht höflich sein – sie wird Entrüstung zum Ausdruck bringen; und es wird mir eine Freude sein, weil mich das ins Recht setzt; es sei denn – was durchaus möglich ist – daß du ihn tatsächlich um so mehr lieben solltest, weil er unverschämt zu dir ist.«
    »Er wird niemals unverschämt zu mir sein«, sagte Catherine wohlmeinend.
    »Sag’ ihm trotzdem, was ich gesagt habe.«
    Sie sah ihren Vater an, und ihre ruhigen Augen füllten sich mit Tränen.
    »Dann, glaube ich, werde ich ihn sprechen«, sagte sie leise mit ihrer zaghaften Stimme.
    »Ganz wie du willst.« Und er ging zur Tür und öffnete sie, damit sie hinausgehen könne. Das rief in ihr das schreckliche Gefühl hervor, verstoßen zu werden.
    »Es wird nur ein einziges Mal sein – vorderhand«, setzte sie, einen Moment zaudernd, hinzu.
    »Ganz wie du willst«, wiederholte er, während er mit der Hand an der Tür dastand.
    »Ich habe dir gesagt, was ich denke. Wenn du ihn sprichst, bist du ein undankbares, erbarmungsloses Kind und bereitest deinem alten Vater den größten Kummer seines Lebens.«
    Das war mehr, als das arme Kind ertragen konnte. Seine Tränen flossen über, und es begab sich mit einem bemitleidenswerten Ausruf zum unnachgiebig beharrenden Vater. Catherines Hände waren zu inständigen Bitten |149| erhoben, doch er entzog sich unerbittlich diesem Flehen. Statt daß er sie ihren Jammer an seiner Schulter ausweinen ließ, nahm er sie einfach beim Arm, führte sie über die Schwelle und schloß die Tür leise, aber entschieden hinter ihr. Nachdem er das getan hatte, blieb er lauschend stehen. Lange Zeit war kein Laut zu vernehmen; er wußte, daß sie noch draußen stand. Wie ich bereits sagte, bedauerte er sie; aber er war völlig überzeugt, daß er recht hatte. Schließlich hörte er sie weggehen, worauf ihr Schritt matt über die Treppe knarrte.
    Der Doktor ging ein paarmal in seinem Arbeitszimmer auf und ab, die Hände in den Taschen und ein leichtes Glitzern in den Augen, möglicherweise aus Verärgerung, teils aber auch aus so etwas wie Belustigung. ›Donnerwetter‹, sagte er sich, ›ich glaube wahrhaftig, sie wird hängenbleiben – ich glaube, sie wird hängenbleiben!‹ Und diese Vorstellung, daß Catherine »hängenbleiben« würde, schien etwas Komisches an sich zu haben und die Aussicht auf Unterhaltung zu bieten. Er beschloß, wie er sich sagte, die Sache bis zum Ende mitanzusehen.

|150| 19. KAPITEL
    Aus Gründen, die mit diesem Entschluß zusammenhingen, suchte er bald darauf ein kleines Gespräch unter vier Augen mit Mrs. Penniman. Er ließ sie in die Bibliothek kommen und teilte ihr dort mit, er hoffe sehr, sie werde ihm, was diese Affäre Catherines anbelange, kein X für ein U vormachen.
    »Ich weiß nicht, was du mit einem solchen Ausdruck meinst«, sagte seine Schwester. »Du sprichst, als würde ich gerade das Alphabet lernen.«
    »Das Alphabet des gesunden Menschenverstandes ist etwas, was du niemals lernen wirst«, gestattete sich der Doktor zu entgegnen.
    »Hast du mich kommen lassen, um mich zu beleidigen?« fragte Mrs. Penniman.
    »Keineswegs. Lediglich um dir einen Rat zu geben. Du hast an dem jungen Townsend Gefallen gefunden; das ist deine eigene Angelegenheit. Ich habe nichts zu tun mit deinen Gefühlen,

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