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Washington Square

Washington Square

Titel: Washington Square Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry James
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versuchen, Catherine aufzupolieren«, sagte der Doktor. »Ich werde sie nach Europa mitnehmen!«
    »Sie wird ihn in Europa auch nicht vergessen.«
    |166| »Dann wird eben er sie vergessen.«
    Mrs. Almond machte ein ernstes Gesicht. »Würdest du das wahrhaftig wollen?«
    »Allerdings«, sagte der Doktor.
    Mittlerweile verlor Mrs. Penniman wenig Zeit, um sich aufs neue mit Morris Townsend in Verbindung zu setzen. Sie bat ihn, ihr eine weitere Unterredung zu gewähren, aber dieses Mal wählte sie kein Austernlokal als Schauplatz ihrer Begegnung. Sie schlug vor, er möge sie nach dem Sonntagnachmittagsgottesdienst am Portal einer bestimmten Kirche treffen; und sie achtete darauf, nicht denjenigen Ort der Andacht zu bestimmen, den sie sonst aufzusuchen pflegte und wo, wie sie sich ausdrückte, die Gemeinde ein wachsames Auge auf sie haben würde. Sie suchte sich einen weniger vornehmen Treffpunkt aus, und als sie zu der von ihr festgesetzten Stunde aus dem Portal trat, sah sie abseits den jungen Mann stehen. Sie schenkte ihm keine Beachtung, ehe sie die Straße überquert hatte und er ihr ein geraumes Stück Weg gefolgt war. Hier angelangt sagte sie lächelnd: »Verzeihen Sie meinen scheinbaren Mangel an Herzlichkeit. Sie wissen, was Sie darüber zu denken haben. Klugheit hat Vorrang.« Und auf seine Frage, in welche Richtung sie gehen sollten, sagte sie leise: »Wo wir am wenigsten beachtet werden.«
    Morris war nicht gerade in bester Laune, und seine Erwiderung auf diese Äußerung war nicht besonders galant. »Ich bilde mir nicht ein, daß wir irgendwo viel beachtet werden.« Dann wandte er sich unbekümmert der Stadtmitte zu. »Ich hoffe, Sie sind hergekommen, um mir mitzuteilen, daß er klein beigegeben hat«, fuhr er fort.
    »Leider bin ich ganz und gar keine Vorbotin von Gutem; |167| und doch bin ich auch wieder bis zu einem gewissen Grad eine Friedensbotin. Ich habe sehr viel nachgedacht, Mr. Townsend«, sagte Mrs. Penniman.
    »Sie denken zuviel.«
    »Ich glaube, ja; aber ich kann nichts dagegen tun, mein Geist ist so schrecklich rege. Wenn ich mich einer Angelegenheit widme, dann ganz. Ich bezahle dafür mit meinen Kopfschmerzen, meinen berühmten Kopfschmerzen – einem wahren Stirnreif der Schmerzen! Aber ich trage ihn, wie eine Königin ihre Krone trägt. Würden Sie glauben, daß ich jetzt gerade darunter leide? Doch um nichts in der Welt hätte ich unsere Verabredung versäumen wollen. Ich habe Ihnen etwas sehr Wichtiges mitzuteilen.«
    »Also, dann legen Sie los«, sagte Morris.
    »Ich war neulich vielleicht ein wenig voreilig, als ich Ihnen den Rat gab, unverzüglich zu heiraten. Inzwischen habe ich es mir durch den Kopf gehen lassen und jetzt sehe ich es eigentlich etwas anders.«
    »Sie verfügen anscheinend über enorm viele Arten, ein und dieselbe Sache anzusehen.«
    »Ihre Zahl ist unermeßlich!« sagte Mrs. Penniman in einem Ton, der nahezulegen schien, daß diese vorteilhafte Fähigkeit eine ihrer glänzendsten Eigenschaften war.
    »Ich empfehle Ihnen, sich für
eine
Art zu entscheiden und dabei zu bleiben«, erwiderte Morris.
    »Ach, es ist aber nicht leicht, eine Wahl zu treffen. Meine Phantasie ist nie untätig, nie zufriedengestellt. Das macht mich vielleicht zu einer schlechten Ratgeberin, wohl aber zu einer ausgezeichneten Freundin.«
    »Eine ausgezeichnete Freundin, die schlechten Rat gibt!« sagte Morris.
    |168| »Nicht absichtlich – und eine, die sich auf jede Gefahr hin eilends anschickt, die demütigsten Entschuldigungen vorzubringen.«
    »Also, was raten Sie mir jetzt?«
    »Sehr geduldig zu sein; achtzugeben und zu warten.«
    »Und ist das jetzt ein schlechter Rat oder ein guter?«
    »Es ist nicht meine Sache, das festzustellen«, entgegnete Mrs. Penniman mit einiger Würde. »Ich versichere lediglich, daß er aufrichtig ist.«
    »Und kommen Sie nächste Woche zu mir und empfehlen etwas anderes und das ebenso aufrichtig?«
    »Womöglich komme ich nächste Woche und erzähle Ihnen, daß ich auf der Straße stehe.«
    »Auf der Straße?«
    »Ich habe einen gräßlichen Auftritt mit meinem Bruder gehabt, und er drohte, falls irgend etwas passieren sollte, würde er mich aus dem Haus werfen. Sie wissen, daß ich eine arme Frau bin.«
    Morris vermutete zwar, daß sie ein kleines Vermögen habe; doch wollte er natürlich deswegen nicht weiter in sie dringen.
    »Ich würde es ausnehmend bedauern, wenn ich mit ansehen müßte, wie Sie meinetwegen ein Martyrium erleiden müßten«, sagte er.

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